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Der fünfte Monat - Entscheidung 

27. November 2020, Jürg Messmer

Eigentlich wollte ich ja keine langen Monatsberichte mehr schreiben, doch dieser hat sich aufgedrängt. Vielleicht wird er ja kurz. Die aktuelle Situation: Nach Tagen von Wirren, Albträumen, Angst pur, und Konspirationsängsten und -theorien. Nach Zeiten von Spekulationen, begleitet von wilden Emotionen jeglicher Art, nach oben und nach unten, wollte ich endlich einen Punkt machen. Folgendes habe ich entschieden:

Erstens: ich gehe nach Guatemala, beantrage jedoch nicht gleich die Daueraufenthalts-Bewilligung als Pensionierter, sondern versuche einen Studienaufenthalt zu beantragen, was mir erlauben würde, weiterhin in der Schweiz angemeldet zu bleiben, ohne gleich alle Bankverbindungen auflösen zu müssen, denn auch Guatemala ist durch den Covid-19 Krieg ja ein anderes Land geworden. Aus Sicherheitsgründen teile ich deshalb meinen Weg in machbare Stücke, in sichere Schritte auf. Ich bin ein vorsichtiger Feigling. Doch wer von A nach B gehen will, muss den Weg beschreiten.

Zweitens: Ich habe jetzt entgegen meinem Widerstand, den oft irren ökonomischen Gesetzen dieser Welt folgen zu müssen, oder den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, entschieden, eben das zu machen, und einen Retourflug zu buchen, der natürlich auch billiger ist, und mir die Sicherheit gibt, einem möglichen Fluchtinstinkt folgen zu können, und mich nicht auf die Ewigkeit verpflichten zu müssen. Zu gar nichts! Mein Bruder spricht mir dieses Recht ja immer zu, und ich bestreite es dann heftig. Doch für einmal - wieder - nehme ich es in Anspruch. Etwas was ja eigentlich meiner pubertären DNA entspricht, und vielleicht in diesem Leben nicht mehr verändert werden kann. Muss es denn? Bin ich wirklich dem “Erwachsenwerden" verpflichtet, wie das viele nennen, von dem ich mich aber eher fürchte, wenn ich mich so umschaue? Vielleicht ist diese Flucht-Bereitschaft ja auch "natürlich". Doch das alles ist nur beruhigende Theorie, man könnte es auch anders beschreiben. Doch ich glaube an natürliche Beruhigungsmittel. Besser als Chemie!

Drittens: Die Ereignisse überschlagen sich. In der Zwischenzeit bin ich ja wieder zum mutigen Vorwärtsgeher mutiert, da per Ende Jahr dank bürokratischem Dekret des Bereichsleiters der Bevölkerungsdienste Richterswil mir der Rucksack vor die Türe gestellt wurde. Krankenkasse Ade. Bankkonto nicht mehr gesichtert. Ich lerne die Schweiz jetzt also von der anderen Seite her kennen. Doch ich liebe ja Perspektivenwechsel. Ich werde sicher darüber berichten.

Klarheit geschafft!

Doch das Leben geht ja in Unklarheit weiter. Sinead wollte mir eines Abends ein Brot backen, ein traditionelles Irisches Barmbrack, ähnlich einem Dreikönigskuchen, den sie mit drei Dingen füllen würde, und die Frage, auf welches ich als erstes beisse, diese beantworten und mein weiteres Leben bestimmen würde. Ein Ehering für die Ehe, eine Münze für Wohlstand, oder ein Klümpchen Erde für den Tod. Eine Idee, die mir sofort einleuchtete. Berührt oder betroffen musste ich lachen. Warum es nicht dem Zufall überlassen! Es kommt aufs Gleiche raus. Den Kuchen und den entscheidenden Biss gab es nicht. Das Leben wird es weisen.

Also mein “provisorischer” Retourflug ist auf den letzt möglichen Tag, den 26. Oktober 2021 festgelegt. Und irgendwie hat mir dieser Termin auf Anhieb gefallen. Am 28. Oktober ist mein siebzigster Geburtstag, und der meiner Brüder. Und KC hat für November eine Ausstellung geplant, wie Sinead mir erzählt hat. Wenn ich bis dann nicht anders entschieden habe, dann wäre das ein guter Termin. Das gibt mir ein Jahr, viele Dinge zu klären, Ideen weiterzutreiben, Beziehungen zu vertiefen. Vielleicht würde mancher sagen, bis 70 müsste ich eigentlich wissen, was Sache ist. Doch ich befürchte, dem kann ich so einfach nicht zustimmen und einfach die Realität ignorieren. Ich bin ein Realist. Ich bin und bleibe ein unsicherer Mensch. Einer der- wie manche vermutlich zu Recht sagen - zu viel denkt. Auch über Sprache, und darüber, ob eine klare Aussage andere verletzen kann. Ich weiss nicht, ob ich solche Übergriffe verhindern, und vermeiden kann, die Grenzen von Anderen zu überschreiten. Doch es ist auch befreiend. What the fuck is Love?

Und Wissen, und die Wissenschaft? Schafft Wissen Freiheit? Oder Sicherheit vor Unwissenheit und Aberglauben? Schutz vor Machtlosigkeit? Ermöglicht Wissen handeln? Und sichert den nächsten Schritt? Klar, gut, wenn dieser sicher ist! Doch lassen wir die Füsse, das Ekzem, die Hämorrhoiden, das Kopfweh, die Zellen mitarbeiten! Und denken wir nicht immer über Drogen nach, und dass diese schlecht sein könnten, während dem wir uns mit anderen Drogen vollstopfen, und an deren Nebenwirkungen ersticken, oder andere darunter leiden. Ja, auch ich. Die Zigarette, und der Wein, bringen mir Sicherheit. Nebenwirkungen garantiert. Doch Sicherheit für den nächsten Schritt. Ich liebe natürliche Drogen. Denn das Leben selbst ist eine Droge. Ein virtueller Raum. Das menschliche Experiment? Ja, ich bin mitten drin, anders kann ich es mir nicht vorstellen. Bin ja beschränkt, weil Mensch. Darum denke ich trotzdem darüber nach, was Wissen denn so schafft.

Wird dieses Experiment bald aufgegeben, weil die Nebenwirkungen immer bedrohlicher werden? Weil es keinen Gewinn mehr verspricht, nur noch Kosten verursacht? Doch Geld kann heute ja nach Belieben gedruckt werden. Und das ist gut für manches. Warum nicht gleich jedem die Freiheit geben, auf einfachen Handy-Knopfdruck das Geld selber zu generieren, das wir "brauchen"? Das würde uns davon befreien, etwas zu wollen, was andere haben aber wir nicht haben können.

Oder ist auch dieser Weg nicht gut? Bleiben wir bei der alten Ungerechtigkeit? Und der Frage, was Gerechtigkeit denn überhaupt ist. Die Frage der Gerechtigkeit erhebt sich ja nur, wenn wir getrennte Wesen sind, die sich gegenseitig konkurrenzieren, also nur im Vergleich leben, anstatt einfach zusammen zu spielen. Aber klar, auch da können die Fetzen fliegen. Ich weiss, ich habe leicht zu reden. Habe ja eine gute "Bildung" und ein Bankkonto, bin ein Schweizer. Doch auch das unsicher. Wollen wir tauschen? Nein, besser nicht. Ja, hoffentlich nicht nur für mich. Wenigstens jetzt, in diesem Leben bin ich jedoch Egoist. Auch andere sind es vermutlich, entweder ohne es zu wissen, oder weil sie sich darüber keine Gedanken machen müssen. Mache einen Punkt!

Also, so Gott will, werde ich in einer Woche in Amsterdam sein, und in zwei Wochen in Guatemala. Entgegen dem Strom, und entgegen meinem Willen, nicht zu fliegen und damit tonnenweise CO2 zu verursachen. Ich fliege nun doch. Keine andere Möglichkeit, vor allem wenn ich am mal mir vorgenommenen Ziel festhalte. Oder ist es gar das Ziel, das mich festhält? Ich fliege, etwas bekümmert, doch auch fast sicher, das ich eine 007-Lizenz zum CO2-Verursachen habe. Der Zweck heiligt die Mittel. Habe ja Wichtiges vor. Die Welt zu retten. Rette sich wer kann.

Ob meiner 007-Phantasie musste Sinead wieder lachen. Sie bringt mich auf die Füsse, widersteht mir. Macht sich lustig. Sie hat recht. Das ist lustig. Auch die Angst? Mensch denkt. Gott lenkt. Nun mach jetzt endlich einen Punkt.

Wünscht mir viel Glück. Ich euch auch! Wir sehen uns, da gibt es keine Zweifel.

PS: Ein etwas voreiliger Monatsbericht. Sozusagen eine Ejaculatio Praecox. Nicht selten in der Pubertät. Auch später möglich. Und weil ich in den nächsten Tagen bald wieder wirklich "reise", und Zeit für die Vorbereitung brauche.

PS2: Für die, die es nicht bemerkt haben. Die Links gehen zu ausführlicheren Texten, sozusagen dem Fleisch am Knochen. Wie auch dieser, zu den neuesten Entwicklungen: Aktuelle Updates.

27. November 2020, Letzte Tage in Tullow.

 

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