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Reisebereit 

18. Oktober 2021, Jürg Messmer

Reiseplan:
20. Oktober 2021: Mit dem Álamo-Bus in die Hauptstadt, Vivian wird mich begleiten. Übernachtung bei Gilda, mit kleiner Feier zu dritt.
21. Oktober 2021: Flug Guatemala-Panama-Amsterdam, Ankunft 22. Oktober. Besuch meiner holländischen Familie.
26. Oktober 2021: Weiterflug KLM nach Zürich, Schweiz.
Januar 2022: Rückreise nach Guatemala. Route und genauer Zeitpunkt noch unbestimmt. Spätestens 22. Januar in Guate, denn dann läuft mein Mobilabo aus, also muss ich es erneuern, damit ich noch kommunizieren kann 🙂

Als ich vor einem Jahr in Irland festsass, und mir bewusst geworden war, welchen grossen Schritt ich da gemacht hatte, und auch Guatemala einem strikten "Notfall"-Regime inkl. radikalem "toque de queda" (Ausgangssperre ab 16 Uhr) unterworfen war, und klar, dass auch da alles anders sein würde, da hatte ich die Notbremse gezogen und, entgegen meiner ursprünglichen Absicht, einen Retourflug nach Guatemala gebucht. Probezeit!

Nun ist dieser Aufenthalt auf Probe fast vorbei, doch inzwischen ist klar, dass ich eine "stimmige" Entscheidung getroffen hatte, auch weil ich mich inzwischen an das kühle Klima hier auf dem Altiplano (2300müM) gewöhnt habe, und erkannt, dass dieser "Winter" (Regenzeit) hier weniger hart ist, als ich dies im Juni noch befürchtet hatte: Regen, Regen, und Kälte, und nur eine Aufstockung der Tequila-Reserven schienen da noch eine Erleichterung zu versprechen...


Blick auf den Hausberg von Xela, "El Bául". Meine Raucherterrasse, auch der Mond gut sichtbar *

Es ist anders gekommen, der Tequila musste nicht flliessen: wenig Regen, fast keine nassen Füsse, und immer wieder viel Sonne. Gott sei Dank.

Doch die letzten Monate sind mit viel Unsicherheit verbunden gewesen. Die Residenz in Guatemala ist zwar in Sichtweite, doch das abschliessende Interview noch nicht klar, vor allem, weil ich zu den mir bisher online angebotenen Terminen im Dezember ja auf Reise bin. Und eine Kommunikation mit der "Migration" ist nicht möglich, die "Zitterpartie" geht also etwas weiter. Doch gleichzeitig ist inzwischen mein Vertrauen gewachsen, dass ich wohl akzeptiert und meine Initiationsriten erfolgreich bestehen werde, und dass ich auch, trotz Viren und allfälligen Beschränkungen, wieder nach Guatemala einreisen werden kann. Meine Liebe zu diesem Land und vor allem den Menschen hier ist einfach zu gross, inkl. der holprigen Strassen und Gehsteige, und der Strassenhunde.


Blick Richtung "Templo la Transfiguración". Gott ist hier in vielen Formen zu Hause *

Anstrengend ist es gewesen, weil es einfach anspruchsvoll ist, an einem Ort zu leben, und gleichzeitig eine solche Reise zu planen, an einen anderen Ort zu denken, erst noch das Geburtsland mit all seinen Menschen, die ich mit 69 Jahren hinter mich gelassen habe; das bringt sehr viel Unruhe ins Leben.

Dies hat mich jedoch gezwungen, Schritt um Schritt zu gehen, und sowohl hier in Guatemala als auch in der Schweiz möglichst viel zu klären. Etwas, was ich ja immer wieder gerne mache. Dass ich seit bald 16 Monaten nicht mehr in der Schweiz gewesen bin, hat sich auch auf meine innere Landschaft ausgewirkt, meine "Abwesenheit" hat so manches verändert; einige Kontakte haben sich etwas im Nebel verloren, andere haben sich gestärkt, und dies manchmal auf sehr unerwartete Art und Weise. Der rein virtuelle Kontakt ersetzt den realen nicht, auch nicht zu Covid-19-Zeiten. Also "Reise Schweiz" wird ein Abenteuer. Bin gespannt, aber bereit, und langsam kommt Freude auf.


Blick Richtung "Cerro Quemado" (und "Muela"). Wäscheleinen, befestigt an Armierungseisen *

Gott sei dank sind Vivian und ich uns im Einen, und auch daran gewohnt, dass sich alles immer wieder ändert, so dass nun meine Reise und "Abwesenheit" keine grossen Ängste mehr hervorrufen werden, und wir relativ gelassen die nächsten Monate auf uns zukommen lassen können; auch wenn ich als Motor der Unruhe immer in Bewegung bin, alle meine Sinne brauche, und sie in diesem Sinne verlasse, wie ich das immer wieder in meinem Leben gemacht habe. Doch habe ich nie eigentlich verlassen, bin einfach immer Wind und Wetter ausgesetzt gewesen, etwas, was ich eben nicht nur fürchte, sondern auch liebe. Wind und Wetter haben mich viel gelehrt, und halten mich in Bewegung.


Blick hoch Richtung "Pedrera", und die evangelische Kirche "Monte Sinai" *

Vivian und ich haben seit 16 Jahren gelernt, über virtuelle Kanäle in einem intensiven und lebendigen Kontakt zu bleiben, und auch für andere Fragen hat sich immer eine Lösung gefunden; denn auch ein Rhythmuswechsel hat ja seine Vorteile, ist gut für den "Herzkreislauf". Ihre Gegenwart werde ich vermissen, auch ihre Familie, und meine "Familie" hier in Xela, bei der ich ja hauptsächlich wohne; auch wenn diese manchmal nicht ganz einfach ist, ist sie doch eine mir lieb gewordene Gemeinschaft, und vor allem auch die Morgenstunden hier im kalten Corredor, der den Patio umgibt, werde ich vermissen: das Erwachen des Tages, die Vögel, die wie jetzt zwitschern, die morgendliche Ruhe, die um 5 Uhr durch das Gehupe des Almolonga-Bus unterbrochen wird, der hier laut und stinkend durch unsere Strasse kurvt. Die Stunden, in denen ich verarbeite und schreibe, und so manches für den Tag vorbereite, und Kaffee trinke und meine Friedenspfeife rauche.


Die "Pila": Vivian ist Teil einer grossen Mehrheit, die die Wäsche noch von Hand waschen, und das sehr sorgfältig *

All die Projekte (Schule, Sprache "konkret", "Nachbarschaft"), die wir hier zusammen machen, und vor allem den Tanz und die Gemeinschaft im "lugar humilde", wo ich seit 10 Monaten fast täglich für ein paar Stunden bin, werden mir fehlen; auch die Strassenhunde, die mir manche "Tanzstunde" bescheren, und wichtige Lehren erteilen. Und die Ruhe für meine regelmässige Yogapraxis, die (wieder) integraler Bestandteil meines Lebens geworden ist. Unterwegs wird dies dann etwas schwieriger.

Dass ich vor lauter genormter Gehsteige und klaren Regeln in der Schweiz die Aufmerksamkeit verlieren könnte, davon gehe ich nicht aus, auch nicht, dass es mir zu langweilig werden könnte, denn ich bin mich gewohnt, es so zu nehmen, wie es kommt, und als das Abenteuer zu sehen, das Leben ja immer ist. Und selbst auf dem Boden oder Trottoir sitzen ist in der Schweiz aus meiner Erfahrung möglich, auch wenn manche komisch schauen, aber immer wieder der eine oder die andere lächelt, oder mich um eine Zigarette bittet, vielleicht auch, um eine zusammen zu rauchen.

Werde ich in der Schweiz also auch so "tanzen" können, wie ich dies hier kann? Bin gespannt, ob auch die "gefestigte Schweiz" in Bewegung ist, und tanzt. Wir werden es "erfahren". Es gibt Hoffnung, dass wir trotz Covid auch ein paar Feste feiern können. Wie wird es mit Covid sein? Hier in Xela kann ich mich frei bewegen, und verkehre an Orten, wo der Umgang mit Masken flexibel ist, und man auch ohne Masken tanzen und plaudern kann. Werde ich trotz Impfung noch weitere PCR-Tests oder ähnliches über mich ergehen lassen müssen? Wird dieser Irrsinn irgend wann mal wieder vorüber gehen?


Terrasse zum Wäsche trocknen. Strom und Kommunikation sind hier allerorts noch sichtbar *

Ende Oktober, kurz nach meiner Ankunft, werden wir Drillingsbrüder unseren 70. Geburtstag in der Schweiz zusammen feiern, mit der nächsten Familie; und auf unerwartete Weise hat sich auch eine kleine Geburtstagsfeier mit "hispanohablantes" ergeben, angeregt durch eine "Seelengefährtin", und einem Schweizer-Kolumbianerin-Paar, bei denen ich mich seit Jahren mit dem "mi amor" vertraut machen konnte. Doch dann werde ich, wenn auch etwas arbeiten (Webarbeit), doch hoffentlich vor allem so manche wieder sehen. Einige Begegnungen liegen schon in der Luft, doch die meisten werden sich erst in der Schweiz konkretisieren. Um mich nochmals richtig zu verabschieden? Oder einfach ein weiteres Stück Weg zusammen zu gehen, ob für kurze oder auch eine etwas längere Zeit? Mal schauen, was da kommt.

Schliesslich werde ich hoffentlich auch mein wildes Göttichind Joya an Weihnachten wieder sehen, die mir kurz vor der Abreise nach Guatemala noch ein Tatoo von Guatemala mit Xela geschenkt hatte, uns beiden. Etwas, was mich sehr berührt hatte, und ich froh bin, dass es "ewig" bleibt. Sie wird zur Zeit in Afrika von wilden Tieren voll in Anspruch genommen. Und wir werden mit der Familie nochmals ein schönes Weihnachtsfest feiern können, wie immer ohne Geschenke, abgesehen davon, dass wir wie immer zusammen singen werden, immer wieder eine Freude. Und auch ein anderes Weihnachtsfest werde ich nochmals feiern können. An der Kirchgasse, in der Schweiz.


Blick Richtung Kathedrale von Xela, von der auch Sternenkuck-Terrasse *

Wenn ich jetzt dies alles schreibe, so kommt mir die Zeit in der Schweiz bereits sehr kurz vor. Doch glaube ich, die Zeit ist genau richtig, nicht zu lang und nicht zu kurz; und so oder so: "paso a paso", Schritt um Schritt.

Aktuell: Am Freitag feierten wir ein kleines Fest im "lugar humilde" von Erika. Da sagte mir Pedro am Schluss: "Keiner will hier, dass du gehst. Warum gehst du, warum willst du weggehen?" Seine Frage traf mich sehr. Ich muss, darf, und kann, darum will ich. Werde gleich zurück sein, im Zentrum meines Herzens, die Zeit wird im Fluge vergehen.

PS: Aus verschiedensten Gründen (kein Wohnsitz) werde ich nur per Mail und Whatsapp (Signal, Threema, Telegram) in WLAN-Nähe erreichbar sein. Doch werde ich auch über eine Schweizer Prepaid-Verbindung verfügen, und so im Notfall auch unterwegs mit Menschen in Verbindung treten können. Die Frage ist nur, werden sie eine ihnen unbekannte Nummer annehmen?

Lied: von Vivian, um mich auf der Reise zu begleiten: "Viaje" de Ricardo Arjona (mit spanischen Untertiteln)

*Fotos: eine improvisierte Serie, von der Terrasse, die über der Wohnung von Vivian liegt. Fotos von Nachthimmel sind mit (meiner) Handykamera unmöglich, auch weil der Fokus kaput ist. (QR-Codes kann ich nicht mehr scannen)

 

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