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Porno-Willi's unbändige Lebenslust 

6. März 2021, Jürg Messmer

Als mir ein Freund diese Geschichte vom Porno-Willi erzählte, musste ich erst einmal befreit lachen. Gleichzeitig regte ich mich wieder furchtbar auf, wie informationsgläubig viele, grad auch gut gebildete, Menschen doch sind. Gleich wollte ich ein Gesetz schreiben, das einen Blick über die reine Zahlenmechanik hinaus auch in Wissenschaft und Politik, bis hin zum "Gesundheitswesen", fördern würde. Doch scheiterte ich natürlich daran - wie immer - warf die Waffen, und beschloss, einfach diese Geschichte zu erzählen. Nein, keine sauber wissenschaftlich erfassten und für die Statistik bereinigte Fakten, sondern einfach ein Geschichte. Und selbst Porno-Willi würde sie wieder anders erzählen.

Also: Porno-Willi hat Mühe mit Gehen, Stehen und Atmen. Er ist 75 und liebte seit Kindesgebeinen an die Frauen und seine Freiheit. Die letztere fast noch ein bisschen mehr, was fast nicht zu glauben ist. Aber wohl auch nachfühlbar für manche.

Eines Tages spürt er im Hals ein mittelwinziges Kitzeln, was seine liebe Frau Jeany alarmiert, da gerade ein fürchterliches Killervirus (Überlebensrate 99% in Porno-Willi Altersklasse) seine Runden dreht. Einem Test widersetzt sich der gute Mann nicht und ein positives Resultat ist er sich ja gewohnt, obwohl nicht er jeweils die Schwangerschaft-Tests hatte machen müssen, sondern das andere von ihm so begehrte und gejagte Geschlecht, in jeweils verschiedenen Farben, Sprachen, Altersstufen und Ländern.

Als das Kitzeln in seinem Hals zu einem leichten Kratzen wurde und der positive Test nicht zu vergessen war, beschloss Jeany ihren geliebten Porno-Willi hospitalisieren zu lassen. Er gehörte jetzt nämlich zur sogenannten Risikogruppe, die Erfindung einer findigen Marketingabteilung der Gesundheit- beziehungsweise Krankheitsindustrie. Nach Jahrzehnten wilden Motorradfahrten, schwer betrunken von einer Schönheit im Sattel hinter ihm und der festen Umklammerung um und unter seinem Bauch, angesäuselt vom Wodka, Campari oder Bier, auf dem Tacho 100% mehr als 100, wild rasend durch Wälder, Städte und über Bergpässe, sich jeder Kurve (einigen besonders leidenschaftlich) hingebend, oft um Haaresbreite am Tod oder am Heiraten vorbei... Jetzt, wo er sich nur noch vom Sofa zum Bett und zurück bewegte, jetzt erst, aber dafür umso mehr, war er in der sogenannten Risikogruppe... wie doch das Leben seltsame Blüten treibt!

Man bettete ihn in ein Zweibettzimmer, wo schon ein anderer ehemaliger Jüngling lag, den man ebenfalls in die besagte Zielgruppe der Pillen- und Skalpell-Industrie eingeordnet hatte. Ordnung ist das halbe Leben, für Porno-Willi war es bis anhin eigentlich die Freude und die Sauordnung. Aber Ordnung musste jetzt sein, in Form von klaren Positionen in der Rechnung, die da folgen würde. Denn nichts ist gratis. Nur der Tod. Und davor musste er gerettet werden, als zahlkräftiger Bürger. Es begann mit einer Monsterspritze in seinen Allerwertesten (Position 4/AZ 23), einer fast etwas nach Bier schmeckenden Lasur (Position 4/TD 2783) und einem Sauerstoffgerät (Position 4/HGF 34) an welchem die exotische Krankenschwester eine besondere Freude zu haben schien. Porno-Willi dachte dabei ans Blasen, als sie ihm die Maske überzog und an zwei Knöpfen drehte und ihm nun eine gute Nacht wünschte. Er dachte an zwei andere Knöpfe und Positionen bevor er einschlief.

Am Morgen beklagte sich sein Zimmerkumpan, dass er kein Auge hatte zudrücken können, weil dieses Sauerstoffgerät dermassen laut seinen gut bezahlten Dienst verrichtet hätte. Schlaf und Kumpels! Das war schon immer etwas vom Heiligsten gewesen für unseren braven Zechbruder. Ein kurzer Fingerdruck auf die Patientenklingel (Position 5/aber Hallo) und die Schwester, jetzt prosaisch Pflegefachfrau genannt, erschien. Es war nicht die schöne Exotin, die ihn in den Schlaf begleitet hatte, sondern eine bleiche Wohlgenährte, die Autorität und eine vitale Widerspruchsimmunität ausstrahlte. Porno-Willi - mit allen Wassern gewaschen, sofern Alkohol eine Zutat war - sagte nur kurz: „Nehmen Sie das Gerät weg, mein Zimmerkumpan konnte nicht schlafen bei dem Heidenlärm, und er ist katholisch!“ Die Pflegefachfrau protestierte: „Das geht nicht! Sie sind krank! Das ist Teil der Behandlung!“ Porno: „Wenn mein Freund hier nicht schlafen kann, werde ich noch krank! Weg damit!“

Der Fachfrau wurde klar, dass da nichts zu machen war, und schob das schwere Gerät, traurig über die verlorene Position, zum Zimmer hinaus, als ihr Porno noch hinterher rief: „Und auf diese Mordsspritze von gestern verzichte ich ebenfalls!“ Sie erklärte ihm nochmals, dass er krank sei und in der allzu bekannten Risikogruppe und sie - ehrlich gesagt - sehr schwarz für ihn sehe! Das müsse sie ihm eindringlich sagen.

Porno-Willi wusste nur allzu gut, dass immer und immer wieder jemand ständig schwarz für ihn sah. Sein ganzes Leben lang war das der Fall gewesen: von der Mutter zum Lehrer zum Pfarrer zum Lehrmeister. Immer sah jemand schwarz für ihn. Er hatte - es kam ihm wie ein Wunder vor - vielleicht gerade deshalb gut gelebt...

Zwei Tage später entliess man ihn aus dem Spital. Er war einfach nicht zu brauchen für so etwas..."

PS: Porno-Willi wird wohl kaum in der Statistik erscheinen. Wie sollte er denn erfasst werden. Nicht nur die Krankheits- und Behandlungspositionen passen nicht so richtig, auch seine Geschichte passt nicht in den Raster. Genau so wenig wie Lebenwillen oder gar Lebenslust in der numerischen Erfassung des Gesundheits- oder Krankheitsstatus etwas zu suchen haben. Diese Vitalität kann weder verschrieben noch behandelt werden. Sie ist ja nicht messbar. Wirksam ist sie vermutlich trotzdem.

1 Kommentar

Jürg Messmer, 13. März 2021

Nachtrag: Porno-Willi ist kein Porno-Darsteller. Allerdings wäre das auch nicht so schlimm. Doch er wird einfach so genannt - vermutlich sogar liebevoll - weil er ja eben Frauen liebt, einfach auf seine Art. Und vermutlich schätzen diese Frauen ja auch ihn, auch sie auf ihre persönliche Weise. Dass diese Form von Liebe nicht bei allen gut ankommt, ist vermutlich zu erwarten. Und dass auch vor lauter "Porno" manches Lesers Kopf raucht, so dass dann untergeht, dass er Gesundheit etwas anders sieht als wir meisten. Dies war der Grund dafür, warum mich diese Geschichte so inspiriert hat.

Was für mich ein Zeichen der Hoffnung ist, das ist anderen ein Dorn im Auge. Immer wieder erschrecke ich, wie gemeinsam geteilte Bildung und Informationen doch normierend wirken können. Vor allem weil formale Schulbildung (halt immer noch "Erziehung", weil unvermeidlich) oft jegliche Lebensschulung und -erfahrung abwertet. Und das scheint mir ein grosser Verlust zu sein. Doch anderseits ist natürlich auch Bildung Leben, ist fast nicht zu vermeiden. Und jedeR sieht es natürlich anders.

Im Nachhinein ist mir klar, dass es schwierig ist, einen solchen Text zu veröffentlichen, vor allem weil man nicht direkt darüber sprechen oder streiten kann, und natürlich auch nicht lachen. Kommentare würden dem sicher etwas abhelfen. Leider muss ich zugeben, dass die Kommentarfunktion seit einiger Zeit offensichtlich nicht mehr funktioniert hatte. Nachdem mich ein treuer Leser und Kommentarschreiber darauf aufmerksam gemacht hat, konnte ich dieses Problem nun - hoffentlich - wieder beheben. Also, auf in Richtung nächstes :-) Und frisch, fromm und fröhlich drauflos. Danke für eure engagierte Meinung.

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