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Eine gemalte Geschichte 

19. Januar 2021, Jürg Messmer

Vor einigen Tagen habe ich dieses Bild entdeckt, direkt über dem Sessel, in dem ich jeden Tag in Ruhe mit dem Tag erwache, heissen Cafecito trinke, eine frühe Pipa de Paz rauche, und wie immer schreibe. Doch das eben oft noch im Dunkeln, so dass ich bisher nie auf dieses Bild geachtet hatte.

Gleich war meine Aufmerksamkeit geweckt und ich sah, das dieses Bild mit der Geschichte Guatemalas zu tun haben musste. Etwas erstaunt war ich darüber, dieses Bild in diesem gutbürgerlichen Haus zu finden, mit einem Hausherr, dessen Vater als hoher Offizier in der guatemaltikischen Armee gedient hatte, wie auch dessen Bruder, und er selber ja einen sehr gefestigten, ja eher konservativen Eindruck auf mich macht. Doch ich weiss, dass dem nicht ganz so ist, denn inzwischen kenne ich ihn ja ein bisschen besser.

Zudem erstaunt es ja nicht, dass auch kritische Bilder oft eher in gutbürgerlichen Häusern zu finden sind, als in denen der "Armen" und weniger formal gebildeten. Auch Rebellen und Revolutionäre gedeihen ja oft besser in "gut gebildeten" Kreisen.

Kurz darauf hatte mich Vivian überraschend auf dieses Bild angesprochen, ob ich denn wisse, um was für ein Bild es sich handele. Ja, ich hatte mir aus der Szene durchaus meinen Reim machen können, doch im Detail wusste ich natürlich nichts.


Wandgemälde (Mural) "Gloriosa Victoria" des mexikanischen Malers Diego Rivera (u.a.), 1954

Dieses Mural "Glorreicher Sieg" hatte Rivera 1954 gemalt, kurz nachdem Amerikanische Einsatzkräfte im Auftrag des US Aussendepartement und des CIA, in gewünschter Absprache mit lokalen Kräften, in Guatemala interveniert hatten, um dem "kommunistischen" Treiben einer umfassenden Agrar- und Landreform mit einem Militärputsch ein schnelles Ende zu bereiten, und damit die amerikanischen Interessen, insbesondere die der damals beherrschenden United Fruit Company ("La Frutera" - später zu Dole umbenannt) zu sichern.

Das war das Ende eines Jahrzehntes des Aufbruchs in Guatemala (1944-54), die in der Regierungszeit von Jacobo Árbenz Guzmán, dem Sohn eines Schweizer Einwanderers, Hans Jakob Arbenz Gröbli, und der Guatemaltekin Octavia Guzmán Caballeros, seinen Höhepunkt gefunden hatte. Auf Árbenz, der als ehemaliger Armeeoffizier und langjähriger Verteidigungsminister (1944-51) von Guatemala keineswegs des Kommunismus zu verdächtigen war, folgte der Diktator Carlos Castillo Armas, um jegliche Erneuerung und Eindämmung eines freien Unternehmertums und Kapitalflusses zu unterbinden. Er machte alle Reformen rückgängig und beschränkte die Rechte von Indigenen, Bauern und Arbeitern, brachte die Kritiker zum Schweigen, und sicherte die Regierung mit Terror, Korruption und dem Geld jener, deren Interessen er diente. Also nichts neues. Damit stellte er sicher, dass auch Guatemala weiterhin despektierlich als "Bananenrepublik" gelten konnte, obwohl das Land ja weit mehr als Bananen und Korruption zu offerieren hat, das kann ich versichern.

Zur gleichen Zeit bestimmte ja auch ein "amerikanischer" Senator namens Joseph McCarthy eine aufgeregt antikommunistische Stimmung in den USA, und Europa stand am Anfang eines langen Krieges, den wir nur bedingt ganz angemessen, als den Kalten Krieg bezeichnen. Wenn man also den Blick über den Rahmen von Riveras Gemälde hinaus gleiten liesse, könnte man sogar entdecken, dass die Ereignisse in Guatemala auch in einem größeren Zusammenhang gesehen werden könnten; dass die "Mechanismen" eines siegreichen Kapitalismus und der Globalisierung vielleicht nur an die Stelle heisser Kriege - innerhalb des eignen Territoriums - getreten sind, und dass internationale Organisationen weiterhin ihre Finger im Spiel haben, indem sie alten Regeln folgen und so "erfolgreiche" Traditionen pflegen.

Doch all das hatte Diego Rivera, seine Assistentinnen Rina Lazo und Teresa Ordiales, und auch seine Frau Frieda Kahlo anno 1954 ja noch nicht wissen können - im besten Fall erahnen.

Beschreibung: Dieses Wandbilddetail zeigt den US-amerikanischen "Aussenminister" John Foster Dulles beim Händeschütteln mit dem unterwürfigen Oberst Carlos Castillo Armas. John Dulles ist umgeben von seinem Bruder Allen Dulles (links), Rechtsvertreter der United Fruit Company und erster Direktor der CIA, und John Peurifoy, dem US-Botschafter (der kräftig mitmischte), während seine linke Hand die Bombe mit dem lächelnden Gesicht von US-Präsident Dwight Eisenhower hält. Links, ausserhalb des Ausschnitts, beladen indigene Sklaven die Schiffe von "la Frutera" mit Bananen und Kochbananen, und die Opfer dieses Coups sind unterhalb und rechts im Bild zu sehen. Über allen der Erzbischof Mariano Rossell y Arellano, der den Veranstaltungen seinen Segen gibt. (Quelle, spanisch)

Dank der starken Hand dieses alsbald in freier Wahl (99,9%) - da ohne Alternative - gewählten Präsidenten Carlos Castillo Armas, wurde sichergestellt, dass Guatemala weiterhin ein freies, von Ansprüchen der armen Bevölkerung befreites Land blieb, und es auch zukünftig, zwar nicht mehr den Spanischen Eroberern, sondern deren Nachkommen, den Unternehmern dienen konnte, die "engagiert und verantwortungsvoll eine Zukunft in Wohlstand sicherten".

Doch auch das konnte nicht verhindern, dass in diesem fruchtbaren Boden eine grosse Unzufriedenheit wuchs, die sich in einem "bewaffneten Konflikt" entzündete, den manche - etwas vereinfacht - immer noch als Bürgerkrieg (Guerra civil de Guatemala) betrachten.

Dieser "bewaffnete Konflikt" lässt sich statistisch wie folgt beschreiben: Mehr als 200'000 Tote, unzählige Verschwundene (desaparecidos) und Vergewaltigte, und mehr als eine Million Vertriebene, die vor allem nach Mexiko flohen, wo sie Zuflucht fanden. Und die überwältigende Mehrheit der Opfer waren Mayas, und aus ländlichen Gegenden (dazu eine andere gemalte Geschichte). Ein 36-jähriger Krieg (1960-96), der in einem Friedensabkommen (Acuerdo de la Paz) endete, das jedoch bis heute nicht vollständig umgesetzt wurde. Vielleicht, weil ein Friedensabkommen in Guatemala nur funktionieren kann, wenn es auch die USA und den Rest der Welt, einschliesslich Europa und der Schweiz, einschliesst.

Als ich meinen Blick über den Rahmen dieses Bildes schweifen liess, kamen mir Fragen zum Thema Eigentum und Landbesitz in den Sinn, und ich fragte mich, ob Frieden allein mit ausgewogenen Eigentumsrechten erreicht werden kann, oder ob es von Vorteil wäre, über die Naturgesetze nachzudenken, auch wenn diese etwas diffus sind. Wenn ich das Meer mit seinen Bewohnern betrachte, so denke ich immer daran, wie es wäre, wenn das Meer voller Aquarien wäre, die den Platz jedes einzelnen Fisches und dessen Fisch-Rechte sichern würden. Ob es dann im Meer nicht gleich auch etwas enger würde, trotz überfischter Wasser, und ob dann keine Fischschwärme mehr tanzen würden, nur noch Infrastrukturen und eine gerechtere Ordnung das Leben unter Wasser bestimmen würden. Haifische hätten es vermutlich einfacher, sie müssten nicht mehr sich mit einem vollen Magen zu unklaren Essenszeiten begnügen, sondern könnten sich eigene Fischrechte sichern, und sich nach Lust und Laune überfessen, und das eben sauber rechtlich abgesichert. Dank solcher Freiheit würde also wohl auch das Leben unter Wasser etwas in geordneteren Bahnen verlaufen.

Doch so ein Bild hilft wohl kaum, unsere Welt besser zu verstehen, denn mit uns Menschen, unserem von Fesseln befreiten Denken, und einem Leben in Wohlstand dank Fortschritt hat dieses Bild wohl nichts zu tun. Doch jeder mache sich seinen eigenen Reim, wie immer.

Zum Glück heisst dieser Text ja "Eine gemalte Geschichte", und so soll das Bild, das am Anfang steht, auch das Ende bestimmen. So kann sich jeder selber sein Bild machen, da Bilder ja immer, wenn auch klar und deutlich, so jedem die Freiheit lassen, sich einen eigenen Reim zu machen. So wie man sich ja auch im richtigen Leben immer wieder mehr auf Bilder als auf Worte besinnen muss. Worte reichen nicht aus, nicht nur beim Betrachten eines Gemäldes, wie dieses "Glorious Victory" von Rivera, Lazo und Ordiales.

PS: Die Vereinigten Staaten haben ihre Strategie nur moderat geändert. Eingriffe in verschiedenen Formen sind bis heute Teil ihrer Lateinamerikanischen ("Innen"-)Politik - bei Zentralamerika wird vom Hinterhof gesprochen. Ob in Venezuela, Honduras, Nicaragua, Panamá, Guatemala, oder Kolumbien, Bolivien. In der Schweizer Presse, und vermutlich auch der Europäischen, gibt es wenig kritische Stimmen, meist wird die Haltung der Vereinigten Staaten übernommen. Die Interessen sind ja auch ähnlich, es geht um viel Geld. Militärpräsenz in Lateinamerika, USA Lateinamerika-Politik

Randnotiz: Dies ist der erste Text, der im Rahmen des Projektes "Die Geschichte Guatemalas, und der Beziehungen zwischen Guatemala und der Schweiz" entstanden ist, das Vivian Irene Martínez Mejía und Georg Jürg Jorge Messmer seit längerem in unseren Köpfen und Herzen tragen. Ob was draus wird, das wird sich weisen. Die Voraussetzungen dazu sind gut, auch wenn es sich wohl kaum um ein im heutigen Sinne wissenschaftliches Projekt handelt und deshalb wohl kaum einen Nobelpreis in Geschichte erhalten wird. Doch vielleicht könnte es als Input zweier idealistischer Realisten zu interkulturellem Austausch und internationaler Zusammenarbeit Geschichte machen. Ganz einfach, weil auch eine, wenn auch kleine, Geschichte das Leben schreiben kann, und nicht nur das Leben die Geschichte.

Der Schreiberling hat seit 1999 Zeit gehabt, sich mit dem guatemaltekischen Leben und seiner Geschichte, auseinanderzusetzen. Und mit derjenigen der Schweiz ja gar etwas länger. Das Abenteuer geht weiter. Sein Lieblingsbuch zum Thema ist die Geschichte des jungen Missionar Luis Gurriarán, die in "El silencio del Gallo" (Das Schweigen des Hahns) von Carlos Santos erzählt wird. Ein sehr berührendes Buch, das nicht Schuldige sucht, aber sehr viel Anteil am Leid von Menschen nimmt, die immer wieder Opfer von Landraub werden, auch wenn dieser natürlich auf gesetzliche Weise ja nie ganz so benannt werden dürfte, da dies ja nie ganz bewiesen werden kann, denn die Gesetze werden ja nicht von den Vertriebenen gemacht.

Schuldige zu finden ist keinesfalls leicht, und auch Fragen eines "Acuerdo de la Paz", sind letztlich nur auf internationaler Ebene zu beantworten. Wobei ja immer auch gilt, dass Gesetze eben nur die Beste aller schlechten Lösungen sind. Wir alle stecken mit drin im Sumpf, und da rauszufinden ist wahrlich ein grosses Abenteuer, ein fast schon guijoteskes Unternehmen - doch meiner Ansicht nach nicht ganz unmöglich.

 

Schlagwörter: Guatemala

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