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Der tanzende Kafka 

28. Juni 2021, Jürg Messmer

Zum X-ten Mal stand ich vor dem Informations- oder Triage-Schalter im zweiten Stock des Instituto Guatemalteco de Migración (IGM), um mein Anliegen zu unterbreiten und der Beamtin meine Dokumente zur Überprüfung auszuhändigen, um von ihr eine Nummer zu erhalten, mit der ich mich dann - unter Einhaltung der sozialen Distanz - im Wartesaal auf einen Stuhl setzen und auf den Aufruf meiner Nummer warten könnte.

Doch die Triage-Beamtin akzeptierte das wichtigste Dokument nicht, nämlich meine schriftliche Erklärung, warum es mir nicht möglich gewesen war, ein erforderliches Dokument zu beschaffen. Ich müsse dieses Dokument einfach beschaffen.

Das Dokument: Die Bestätigung des Wertes meiner monatlichen Schweizer Altersrente in Dollars (Referenzwährung in Guatemala). Dieses Dokument ist das einzige, das nicht auf der Liste der Anforderungen steht, es ist also weder ein genauer Titel oder Beschrieb vorhanden, noch ein klarer Ort, an dem es zu beschaffen ist. Nur eines klar: es muss von der Nationalbank sein, der Banco de Guatemala. Doch gleich zu Anbeginn war ich skeptisch gewesen, denn wie sollte man den Wert einer Rente in fremder und frei handelbarer Währung bestimmen und beblaubigen, wenn sich dieser Kurs ja täglich ändert.

Nachdem ich dies nun im vergangenen halben Jahr bereits vier mal erfolglos versucht hatte, dieses Dokument zu beschaffen, war ich nun endgültig am Verzweifeln und sagte es ihr. Und sie hatte Verständnis, vielleicht auch, weil sie selber schon älter war und graue Haare hatte. Sie meinte in etwa, "einen Moment bitte, treten Sie zurück, ich komme auf Sie zurück". Also trat ich zurück, und dachte an Kafka, an die Verwandlung, an den Käfer, der auf dem Rücken liegt und strampelt, dachte an meine Reise in die Schweiz im Herbst, und fragte mich, ob ich von dieser Reise je nach Guatemala zurückkehren würde. Eine Frage, die mich traurig machte und quälte und die nach Versagen schmeckte, und mich an die Warnungen erinnerte, dass ich total frustriert, für immer erledigt, aus der Ferne zurückkommen würde.

In diesen schweren Gedanken versunken, rief mich die Beamtin zu sich, und händigte mir die Kopie eines Schreibens aus, das sie mir vermutlich nicht hätte geben dürfen, denn der Brief war an einen anderen Antragstellers gerichtet, der klar erkennbar war. Doch der Brief war interessant, von einem Anwalt der Banco de Guatemala verfasst, mit dem Wortlaut, dass die Nationalbank das gewünschte Dokument nicht ausstellen würden, doch hatte er am Schluss so nebenbei hinzugefügt, dass der Wechselkurs zwischen Schweizer Franken und Dollar in den letzten paar Monaten, am jeweils gleichen Stichtag des vorliegenden Antrages, der folgende gewesen war, in Zahlen, die da säuberlich, aber eben entsprechend relativiert, geschrieben standen. Und das auf offiziellem Papier, mit Unterschrift und Stempel.

Endlich war die Lösung des Rätsels gefunden, denn gleichzeitig war da auch die Abteilung und der Name dieser Unterschriftsberechtigten Person schriftlich festgehalten, also die Stelle, wo ich dieses Dokument nun hoffentlich würde beschaffen können, was mir wieder Mut machte. Dank dieser Beamtin, die für einen Moment ihren Kopf herausgestreckt hatte!

Vier mal war ich zuvor bereits zur Nationalbank gegangen, um dieses unsägliche Dokument zu beschaffen. An meiner Intelligenz darf ruhig gezweifelt werden.

Öffentliche Webseite der Banco de Guatemala: Wechselkurs nach Datum

Das erste Mal: Ich wurde dahin geschickt, um mir den Wert meiner Rente in Dollars bestätigen zu lassen, die für Einzelpersonen mindestens 1'200$ betragen muss. Die Nationalbank ist ein imposantes Gebäude, nur war der Eingang, der der Haupteingang schien, verschlossen. Ich wurde ins angebaute Quetzal-Museum verwiesen, in dem sich im oberen Stock ein paar Büros und Schalter befanden, von denen einer offen war. Doch da wusste man nichts von so einer Bestätigung, machten mir jedoch freundlicherweise einen Ausdruck des Tageskurses, und verwiesen mich darauf, dass diese Wechselkurs-Seite öffentlich zugänglich sei. Doch dieser Ausdruck reichte nicht.

Das zweite Mal: als ausländischer Antragsteller, nicht vertraut mit den lokalen Gegebenheiten, versuchte ich es erneut, diesmal mit mehr Nachdruck, doch erhielt ich wieder den gleichen negativen Bescheid, die Nationalbank verweigerte eine schriftliche Bestätigung des Wechselkurses, und ich erhielt die gleiche einfache Kursbestätigung. Warum dies nicht einfach auf der staatlichen Banrural erledigt werden könnte, die im Untergeschoss der Migration einen Niederlassung hat, das habe ich eh nie begriffen.

Das dritte Mal: Diesmal bat ich die Beamtin, mir den genauen Titel oder Beschrieb des Dokumentes und die Adresse der Stelle, wo ich es beschaffen müsste, klar und deutlich schriftlich zu geben. Doch sie weigerte sich, dies zu tun, und es schien, als wollte sie sich die Finger nicht verbrennen. Gezwungenermassen machte ich mich wiederum auf den Weg, in der Hoffnung, nun doch noch das richtige Büro zu finden, denn das musste es ja geben, alles andere machte keinen Sinn. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und ich fand auch eine andere Stelle, doch die war wegen Umbau geschlossen. Verweis: Untergeschoss, Parkgarage: da fand ich ein einsames Telefon auf einer Durchreiche in einem Gitter, und den Hinweis einer anderen anwesenden Person, dass ich die Nummer 0 wählen müsse. So gelang es mir, mich von einer Stelle zur anderen durch die Nationalbank hindurch zu fragen, um schliesslich wieder am gleichen Schalter im ersten Stock des Quetzal-Museums zu landen, an dem man mir bereits zweimal zuvor die Ausstellung des geforderten Dokumentes verweigert und nur den Tageskurs ihrer öffentlich zugänglichen Webseite ausgedruckt hatte. Meiner Bitte, dieses Dokument nun doch wenigstens zu unterschreiben, damit ich etwas Handfestes in den Händen hätte, wurde auch nicht statt gegeben.

Das vierte Mal bat ich also meine Vertraute hier in Guate, Gilda, um Hilfe, in der Hoffnung, dass sie als Einheimische in diesem Dschungel einen Weg finden würde. Doch auch sie fand den nicht.

Ende Februar war nach diesen vier Fehlversuchen dann überraschend - trotz dieses fehlenden Dokumentes - mein Antrag für eine permanente Residenz als Pensionierter formal akzeptiert worden, vermutlich aus Verständnis, auch weil ihnen bewusst war, dass meine Schweizer Rente den Anforderungen gerecht würde, auch wenn sie das geforderte Dokument noch nicht in ihren Händen hatten. Damals konnte ich jedoch nicht wissen, das dies nicht das letzte Wort sein würde.

Doch dank der Briefkopie der gnädigen Migrationsbeamtin und Gilda's Diplomatie und Hartnäckigkeit konnten wir die Secretaria Administrativa in der Banco de Guatemala ausfindig machen. Wir verfassten den Antrag des Dokumentes, konnten diesen wieder in einem Kopierdienst ausdrucken und ich ihn unterschreiben, und fuhren zur Bank. Wieder stiegen wir in den ersten Stock des Museums, wo wir dieses Administrationssekretariat auch fanden, daran war ich schon verschiedene Male vorbeigelaufen. Nun also konnte ich den Antrag einer kompetenten Beamtin überreichen, die den Empfang auch schriftlich bestätigte, und meinte, dass das geforderte Dokument innert drei Tagen mir zugesandt werden würde. Da ich jedoch nach Xela zurück und nicht drei Tage oder länger warten wollte, bat ich sie, dass Gilda - meine anwesende Vertauens-Person - das Dokument persönlich abholen könnte, doch das klappte schliesslich nicht, denn nächste Wochen sind Ferien, und sie entschieden, per Post würde es so schneller klappen, obwohl sie das Dokument erst nach Quetzaltenango (meine Adresse) schicken, und ich dasselbe dann wiederum zurück zu Gilda in die Hauptstadt senden musste, damit sie dieses dann der Migrationsbehörde überreichen kann. Ob das klappen wird, das weiss ich noch nicht. Das Dokument ist zuverlässig per E-Mail angekommen, doch auf den Expressdienst warte ich noch.

Gilda verfügt inzwischen auch über eine notariell beglaubigte Vollmacht, die wir noch kurz vor meiner Rückreise nach Xela bei einem Notar hatten besorgen können. Ich kann nur hoffen, dass das nun klappt. Die Wege der Bürokratie sind ja genau so unergründlich wie die Gottes.

Ich weiss nicht, ob es grundsätzliche Unterschiede zwischen der Guatemaltekischen und der Schweizer Bürokratie gibt. Eines ist sicher. Hier hat das meiste persönlich zu erfolgen, den schriftlichen oder telefonischen Weg gibt es aus meiner Erfahrung nicht. Es liegt vermutlich am Fehlen einer klaren Absicherung. Alles muss ganz genau abgesichert sein, niemand will sich die Finger verbrennen. Das ist auch in der Schweiz nicht viel anders. Zu Zeiten der delegierten Verantwortung gibt es keine einfachen Wege mehr, die wären zu gefährlich, als wären wir dann zurück im Dschungel, den wir jedoch meiner Erfahrung nach eh nie verlassen haben.

Die Erkenntnis, dass wir immer noch im Dschungel leben könnten, ist genau so ein Tabu, wie sagen zu können, dass man eine schriftliche Bestätigung von etwas braucht, das es nicht gibt, und dass man jedoch dessen Nichtexistenz schriftlich bestätigt haben muss, doch wenn man diese Bestätigung jedoch schriftlich bestelle, dann würde man eben mit dem ablehnenden Bescheid auch gleich einen ungefähren Wert der Ausländischen Rente in Dollars erhalten. Nicht mehr als der Ausdruck eines Tageskurses von der öffentlichen Webseite, doch das beglaubigt, und für immer gültig abzulegen im bürokratischen System. Mensch 2021.

Es ist als wäre es ein Tanz, den ich nicht vermeiden kann. Doch lieber übe ich mich weiter in Salsa, Bachata und Cumbia, einfach weil ich da an Ort und Stelle treten kann, ohne auf die Bewegung meiner Beine zu verzichten, und die Füsse immer wieder mit dem Boden in Berührung kommen, was beim Strampeln auf dem Rücken etwas schwieriger ist. Doch vielleicht schaffe ich diese Kunst ja auch noch, dank Asthanga-Yoga und meinem Meister, der mir die Hoffnung gibt, dass ich auch mit 70 noch das machen kann, was einem Neugeborenen von Natur aus in die Wiege gelegt ist. Ob das gelingt, ist nicht so wichtig. Wir werden es sehen. Schritt um Schritt. Ich hoffe, ich finde nicht nur die richtigen Drehungen und Wendungen, sondern auch den passenden Stil, so dass es doch noch eine Freude macht, und hoffentlich auch gut aussieht.

PS: Einen Residenzantrag zu stellen ist nicht nur oft mühsam, sondern auch ein Abenteuer, manchmal kommt es mir vor, als wäre es Yoga, das Stretching von wenig benutzten Muskel, im Einklang mit einer tiefen Atmung.

PS2: Guatemala ist, wenn auch immer noch der "Hinterhof" der Vereinigten Staaten, so doch kein technischer Hinterwald. Die Migration ist mit modernen Datensystemen ausgerüstet, und die Migrationsschalter und Wartehalle wie ein moderner Flughafen organisiert. Die Staatliche Bank Banrural im Haus, bei denen Gebühren für den Residenzantrag, die Erstellung der Migrationsbewegungen und anderes bezahlt werden können, kennt alle meine Daten. Guatemala's Hauptstadt hat, selbst nach meiner Meinung, sehr schöne und innovative städtische Architektur (auch "dank" grosser Zerstörung durch Erdbeben), und ist modern nach US-Amerikanischem Vorbild organisiert. Am besten mit Auto, denn auch wenn man oft im Stau stecken bleibt, so ist das Auto doch Symbol des Fortschritts, von Komfort und Sicherheit. Ich bin immer froh, wenn ich wieder nach Xela zurück ins Dorf zurückkehren kann, und hoffe, dass es auch ein Dorf bleibt, auch wenn die Hauptstädtler auf "uns" herunterschauen. Wir wissen, dass wir näher am Himmel wohnen.

1 Kommentar

Petra, 9. Juli 2021

Hoi Jorge, wow … hartnäckig sein, Geduld haben, und immer wieder kommuniziiiieren … ich drücke die Daumen dass der Schrieb/die Bestätigunf bald eintreffen. Oder schon da? HG aus der Schweiz Petra

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