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Eselsgeduld 

8. Juli 2021, Jürg Messmer

Sie bewundere mich, dass ich nicht schon lange die Nerven verloren habe (angesichts meiner bürokratischen Abenteuer). Denkt sie offenbar, ich sei geduldig? Oder einfach ein Esel? Ein Esel schon eher, doch Geduld habe ich nicht, keine in Sichtweite. Meine Geduld basiert alleine auf dem Mangel an Alternativen.

Bürokratie gibt es seit Jahrhunderten, und bald schon überall, und wenn ich nun unter der präzisen und ausgeklügelten Bürokratie in Guatemala machmal richtig leide, so ist das nur so, weil ich halt ein Migrant (Nomade) bin, die örtlichen Bedingungen erst kennenlernen muss, und auch auf einen professionellen Verhandler verzichtet habe. Nein, ich wollte nicht delegieren. Grad das Delegieren scheint mir ein Hauptproblem unserer Zeit, vor allem wenn es sich um das Delegieren von Verantwortung handelt. Ich wusste von nichts, denn es lag nicht in meiner Verantwortung, ich mache nur meine Arbeit. Wenn alle anderen es tun, dann mache ich es halt auch. Man kann nichts machen. Deshalb ist es auch äusserst wichtig, gut informiert zu sein, denn nur die Spezialisten haben ja noch den Durchblick, (wenn auch sie nur gesichert delegiert im eigenen Gärtchen der angewandten Wissenschaft). Selbst die eigene Identität werden wir letztlich einer zentralen Institution delegieren, auf dass die Bürokratie einfacher wird, und sich noch leichter ausbreiten kann. Kein Wunder ist die Welt von uns Menschen so wie sie ist.

Ich wollte auch dieses System hier an meinem eigenen Leibe erfahren, wie schon seit Jahrzehnten; fast ur-kommunistisch die Institutionen durchwarndernd von innen kennenlernen. Dabei habe ich wie immer viel gelernt. Auch dass das Gelernte beim nächsten Mal oft kaum noch nützt, dann sind die Bedingungen gleich wieder anders. Lernen ist also mehr sowas wie Yoga oder Beten. Darum sind diese, neben Tanzen (gekonnt im Kreise drehen, einfacher mit Musik), meine Hauptbeschäftigungen. Die Verantwortung für das Leben als Pensionierter ist ja an die Jüngeren delegiert, wenn sie noch Arbeit haben. Doch Bürokratie gibt es ja immer, sonst gibt es Gefängnisse (Strafregist aktuell halten, Werbematerialien oder Bettelbriefe in Couvert stecken und diese zukleben), oder schliesslich psychiatrische Einrichtungen (für die, die nicht zu verwalten sind).

Geduld habe ich also nicht, doch was sicher nützt, ist "es mit Heiterkeit zu nehmen", denn das einzige Theater, das gratis ist, ist das tägliche reale Leben. Und da ich kein Sitzleder habe, um in einem Theatersaal zu sitzen, kommt mir das gerade Recht. Zudem verdiene ich lieber weniger, und sorge mich weniger ums Geld, erledige einfache Arbeiten selber, anstatt die sonst fehlende abwechslungsreiche Bewegung und Erfahrung wieder mit sonst Unnützem kompensieren zu müssen. Also besteige ich auch lieber Treppen als Aufzüge, und gehe zu Fuss, wenn immer ich gehen kann. Wenn es nötig ist, so streite ich auch, doch auch das lieber ohne Anwalt (doch da könnte ich was verpassen!). Das alles erspart mir wiederum ein Auto, das Fitnesszentrum und manchen Besuch beim Arzt, oder beim Psychiater.

Ich bin also lieber Schausspieler im Theater als Zuschauer, auch wenn natürlich der Zuschauer auch wichtiger Akteur ist, wenn seine Handlungen auch oft - abgesehen vom sich räuspern, lachen, klatschen oder sich nerven - zeitverschoben sind, so wie Geld verdienen für das Theater, in der Regel vorher, das Ticket bestellen, Apero trinken, und nach der Vorstellung das Auto im Parkplatz holen und die Gebühren bezahlen, und hoffen, dass das Parkhaus noch nicht geschlossen ist.

Zuschauen werde ich also erst, wenn ich die Bank finde, auf der ich an der Strasse in der Abendsonne sitzen kann, und gelassen dem Treiben zuschauen, den Vorbeilaufenden etwas taub und milde zulächeln, und ab und zu einem Kind über den Kopf streichen kann; oder es milde schelten, wenn es diesem Alten mal wieder einen ungehörigen Streich gespielt hat, wenn der das dann noch merkt.

Soweit ist es jedoch (meines Wissens) noch nicht, und diese Bank habe ich noch nicht gefunden. Ich suche weiter. Und das nur deshalb scheinbar mit Geduld, weil ich weder die richtige Bank, noch den Ort, an dem diese stehen sollte, gefunden habe, und nicht einmal sicher bin, ob ich nicht lieber beim Gehen, oder beim Tanzen, das Zeitliche segne.

PS: Mein Hauptproblem angesichts meiner Lebenshaltung ist, dass diese egoistisch ist. Ich gebe weder Arbeit den Liftbauern, noch den Autoverkäufern, oder den Fitnessraum-Betreibern. Auch die Anwälte und Ärzte müssten sich neu umschauen, wenn nur solche Leute wie ich auf der Welt ihren Unfug treiben würden. Auch gute Automechaniker gäbe es vermutlich noch weniger als die wenigen, die noch übrig geblieben sind, da es ja - zum Mindesten in Guatemala - noch ein paar Autos gibt, die es wert sind, sorgfältig repariert zu werden. Und über schamlose Kapitalisten könnte ich mich vermutlich auch nicht mehr ärgern, und auch nicht deren Einladung im Luxusheim geniessen.

Doch über eine leichte Reduzierung von Spezialisten nachzudenken, würde sich meiner Meinung nach trotz drohender Verluste jederzeit lohnen, ein Abbau müsste natürlich sorgfältig geschehen, wie der Rückbau eines Atomkraftwerkes, und zudem müssten wir uns vielleicht die Hände wieder etwas schmutzig machen, und das zu Viruszeiten. Also bin ich auch diesbezüglich letztlich etwas unsicher. Ich sehe keine Möglichkeit, zu drängen, um die Welt zu retten, denn ich befürchte, dass es dann nicht ganz so herauskommen könnte, wie ich mir dies wünschte. Nicht einmal meine Wünsche kenne ich ja so genau, denn auch die ändern sich ständig, wie der Hunger, wenn ich nichts gegessen habe, der Schatten, den ich bei Hitze suche, oder die Sonne bei der Kälte. Bin eine flüchtige Seele.

PS2: Meine scheinbare Geduld hat also wie gesagt nichts mit Tugend zu tun, sondern ist schiere Notwendigkeit, denn ich weiss nicht einmal was Sache ist, kenne jeweils nur den nächsten Schritt, und das erst, wenn ich den mache. Vermutlich gleich wie ein Esel. Sind diese auch Wiederkäuer?

Bild: Ich bitte die von der Irrgarten-Welt um Verständnis. (lesenswerte Eseleien!)

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