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Morgen werde ich mich mit einem unterhaltsamen Typ vergnügen 

17. Dezember 2020, Jürg Messmer

Den Titel "Mañana voy a divertirme con un chico divertido" hatte mir gestern Vivian in den Kopf gesetzt. Ursprünglich lautete er etwas anders, pfiffiger, doch den vergassen wir umgehend, und haben uns dann auf diesen geeinigt. Ihr Wunsch ist mir Befehl. ¡Estamos para servirle!

Wir hatten uns hier in “meinem” Patio getroffen, um die Lage zu besprechen. Doch ich war deprimiert, niedergeschlagen. Nichts ging mehr. Es war zum Verzweifeln. In diesem Humus entstand der grosse Wunsch nach Vergnügen. Und ich dachte an Gott, und vermutete, dass vielleicht auch er nach dem Höhenflug der ersten riesigen kreativen Schritte, dann müde und etwas ausgelaugt gewesen war. Das Universum! Die Sterne, Mutter Erde, Wasser, Tiere und Pflanzen! Uff, also bestimmt genauso müde und deprimiert wie ich! Verzeiht mir, ich kann eben nicht über meinen eigenen Horizont hinaus sehen.

Der Tag zuvor war voller Tatendrang gewesen, zuerst frühmorgens den Text "Die Blume und der Gehsteig" geschrieben, und das in Spanisch, "La flor y la acera". Voller Visionen, machte ich zuversichtliche Schritte in Richtung Klärung der schwierigen Situation: Aufenthalt. Studienplan, Geldsicherung, gar Lebensplan standen auf den Traktanden. Auch die Festeinladung. Doch Koordination klar: Vivi, und ich.

Ausgangslage: das schöne Haus, in dem ich jetzt wohne, in dem ich jedoch keine Aufgabe habe! Ich koche nicht, noch kaufe ich ein, nicht einmal mein Zimmer kann ich selber putzen - wenigstens vorerst nicht - denn die Aufgaben sind ja verteilt, und auch die Muchacha ist vermutlich froh, Arbeit zu haben. Ich übe mich also in Vollbluts-Machismus! "Mach o Menos" (frei übersetzt: Macho? mehr oder weniger), meinte Maripaz, die Tochter meiner Hausherrin Doña Carmen, lachend! Ich nenne sie Brujita (Hexchen).

Eine ungewohnte Situation für mich. Ich muss meinen Platz erst finden. Und LehrerInnen, die bereit sind, für Präsenzunterricht mit dem anspruchsvollen Jorgito in Covid-19-Zeiten ihr Leben zu riskieren, sind vorerst nicht in Sicht - vor allem weil es ja Vorweihnachtszeit ist. Und Navidad ist den Guatemalteken heilig. Bis Ende Jahr geht da nichts, aber gar nichts.

Heute morgen hat sich das Blatt jedoch wie gehofft wieder geändert. Ganz bipolar. Ein Tag rauf, der nächste runter. Jetzt also wieder rauf. Gleich habe ich wieder Flausen im Kopf, angeregt durch den wenn auch kurzen so doch tiefen Schlaf, und dank Träumen, in denen sogar Walo (verstorbener Freund) und Yann (verschollener Freund) zu Besuch kamen. Welche Freude, auch wenn das geträumte Geschehen wie oft seltsam war. Aber auch witzig. Also heute sehe ich durchaus die Mögichkeit, sogar in mir selber den chico divertido zu finden, natürlich wie immer nur inspiriert durch dich. Na, ja, ich meine natürlich einfach alle, die so in mein etwas irres Leben stolpern. Denn ohne euch bin ich nichts.

Meine erste Verpflichtung heute morgen wird es sein, Vivian und ihren geliebten "Sohn" Bambi, ihren perrito, zum Tierarzt zu bringen. Er ist bereits alt, und etwas anfällig geworden. Bereits vor einem Jahr hatte ich die beiden mal dahin gefahren, und hatte das sehr gerne gemacht. Auch sehr schön war, dass Vivi mir als Fahrer vertraute, und sie selbst dann, als ich wie ein wilder Guatemalteke fuhr, weiterhin fröhlich war. Mir immer noch vertraute. Ein wahres Wunder.


Vivian beim tanken, auf dem Weg zum Tierarzt

Über Bankgeschäfte und solide Lösungen hatte ich mich frühmorgens auch bereits ausgetauscht. Ich bin im Rahmen meiner Möglichkeiten sicher, dass ich meine Geschäfte immer auf sehr solide Basis stelle, wenn ich dabei auch oft weniger auf Stahl und Beton und sichere Schlösser, sondern eben auf phantasievolle Verhandlungen, auf aufmerksames Vertrauen, und einen festen Handschlag setze. Dass ich dabei auch mal auf die Schnauze falle, dass ist beim Suchen von neuen Wegen ja fast unvermeidlich. Doch ich habe es ja gelernt, dass man nach Stürzen immer wieder aufstehen kann. Und ob das dank Gott oder dank mir gelingt, auch das scheint mir manchmal nur eine Frage des Geschicks und der Sorgfalt von Verhandlungen mit Ihm zu sein.

Als mir heute morgen meine sehr geschätzte "Tochter" per Chat empfohlen hatte, nicht so sehr zu suchen, sondern einfach zu finden, da war ich etwas düpiert, gekränkt. Ich verteidigte mich - hoffentlich geschickt - indem ich antwortete, dass es halt manchmal unvermeidlich sei, einen Weg zu suchen, um ihn zu finden, wenn man sich im Dschungel mal verirre, so ganz ohne Karten, die einem den Weg weisen. Sicher schwieriger, als in den gesicherten Strassen eines geregelten Lebens, mit bestehenden Strukturen und ausgebuchtem Terminkalender.

Im erwähnten Traum war da auch ein Mann, der spanisch sprach. Er erinnerte mich an den elegant gekleideten und scheinbar sehr sorgfältigen Anwalt, den ich mal mit Astrid kennenlernte, als wir zusammen durch die Strassen von Xela streiften. Dieser sagte am Schluss im Traum, "el camino se hace al andar", der Weg macht sich beim gehen. Und ich realisierte plötzlich in vollem Umfang - langsam wie ich bin - dass das ja nicht nur für mich, sondern für uns alle gilt. Gott vermutlich inbegriffen.

Entschuldigt meine oftmalige Verwendung des Gottesbegriffes1. Ich könnte ja einfach ein '*' oder einen '_' verwenden, wie sie im deutschen Sprachraum des fortschrittlichen Europas ja seit längerem in Gebrauch sind, um Unbestimmtes zu beschreiben und nichts auszugrenzen; doch das ist mir halt einfach zu kompliziert. Gott reicht mir, weil ich Es als lebendiges Mysterium erlebe. Sonst könnte ich gleich aufhören zu sprechen oder zu schreiben, und mich wieder unter die Pflanzen, die Tiere und die Steine, und die Bäume mischen. Ich bitte deshalb um Verständnis.

What’s next im Plan, mich zu vergnügen? Das weiss ich noch nicht. Der Tag wird es zeigen. Denn alleine kann ich mich schlicht und einfach nicht vergnügen, zu langweilig. Da gehe ich mit Gott einig.

PS: Warten auf Vivi und Bambi, die beim Tierarzt sind. Ich sitze auf dem Gehsteig und schaue auf die gegenüberliegende Strassenseite. Ein Reifenhändler, der gross über seiner Garage schreibt "der Stich, ein Geschenk Gottes". Werbung auf Guatemaltekisch, einfach witzig! (siehe Bild unten)

PS2: Als wir vom Tierarzt nach Hause kamen, fuhr ich direkt, sorgfältig und präzis, gleich selber in die enge Garage, und strahlte Vivi selbstzufrieden an. Da meinte sie anstatt mich zu loben, ich wäre zu nah an den Eingang zum Haus gefahren, da könne man nicht mehr einfach durchgehen. Ja, doch bereits so kann man ja doch kaum aussteigen?! Bereits war ich etwas wütend, fängt das denn jetzt schon an, dass wir uns streiten, wenn ich doch Recht habe? Sie stieg ein, fuhr rückwärts und wieder vorwärts näher ans Auto ihres Bruders Neri ran, und konnte so natürlich nicht mehr aussteigen. Da siehst du es! Doch sie kletterte einfach über den Beifahrersitz auf der Passagierseite aus. Und schaute mich an. Ich ging immer noch beleidigt hinter des Bruders Auto durch und sah, da hätte es ja noch Platz, um näher an den Gestellen zu parken, um auch für sie das Aussteigen leichter zu machen! Doch meinte sie nur, dann könne man da nicht mehr so einfach zu den Gestellen gelangen, und in die Waschküche. Ich war wütend, immer hat sie Recht. Wir verabschiedeten uns, und ich lief Richtung mein Zuhause, und meine ohnmächtige Wut verdampfte langsam, beim Nachdenken, beim laufen geht das besser. Ach Gott, sie ist ja nur aufmerksam und sorgfältig, denkt auch an die anderen. Sie kann also wesentlich besser als ich parkieren.

Kaum hatte ich dies geschrieben, so hörte ich meine Mutter schmunzelnd sagen, der Bub hat lange gebraucht, doch ich wusste immer, er will es einfach auf seine Weise richtig machen. Und gleich meinte ich, auch meines Vaters Stimme zu hören, dass er es nun besser verstehe, warum ich ob seiner, wenn auch sorgfältigen, doch manchmal allzu starren und langweiligen Gesetzen und Prozessordnungen, und die erst noch nur die Besten aller Schlechten Lösungen, mich nicht so richtig hatte begeistern lassen. Ich weiss nicht, ob ich ihn wirklich hörte, doch selten hatte ich so ein dankbares Gefühl, und ich habe diesem hier nun Worte verliehen. Ach Gott, zum Glück habe ich noch viel zu lernen, und hoffentlich auch Zeit dafür. Ich freu mich drauf. Bin fast schon begeistert. Ist doch witzig, oder etwa nicht?

PS3: Zum almuerzo, zum Mittagessen, gab es eine Suppe, eine crema, mit Zwiebeln und etwas Gemüse, und Käse obendrauf. Und Kichererbsen mit Wurstscheiben und Pilzen, an einer Tomatensauce, und Guacamole, und eingelegte scharfte Jalapeños und Karrottenscheiben, dazu wie immer Tortillas. Sehr schmackhaft, und wie immer abwechslungsreich, serviert von Doña Carmen, der besten Köchin der Welt. Ja, ich bin schon ein richtiger Guatemalteke!

Lied zur Abrundung eines langen, doch sehr vergnüglichen Tages: Von Vivi empfohlen: "Casa De Locos", Ricardo Arjona. (Text mit Übersetzung dazu bei Google, Suchabfrage "Casa De Locos-Ricardo Arjona letra".)

1Gott, Allah, Jehova, oder Ateo, Void, was auch immer. Auch Gewalt oder Sorgfalt zum Beispiel. Wie alle Begriffe sind sie immer wieder neu zu verhandeln. Und über das "wie" auch noch weiter zu sprechen, wäre als würde ich in meinen eigenen Schwanz beissen! Und das ist ja nur bedingt interessant :-)

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