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Süsse sprachliche Erschütterungen 

11. Januar 2021, Jürg Messmer

Was für ein Titel! Welche Herausforderung, einen Text zu solch einer Schlagzeile zu schreiben, die ich ja intuitiv beim Warten auf meine Guatelintekische Compañera - auf dem Parkplatz von Xelapan - empfangen hatte!

Doch Schritt für Schritt, und gleich scheint es mir wieder einfach: In Xela gibt es Vulkane, Quellen von häufigen Beben, und es gibt allerlei Patisserie, um dieses so zittrige Leben zu versüssen. Und tatsächlich, ohne Xelapan wäre Xela gar nichts!

Ich weiss nicht, ob die Torten von Xelapan die besten der Welt sind, auch habe ich Gerüchte gehört, dass es lokale Konkurrenz seitens süsser Heiliger (San Martín etc.) in Quetzaltenango gebe. Aber jedes Mal, wenn ich vorschlage, eine Tasse Kaffee zu trinken, seufzen die Guatemaltekinnen und machen sich umgehend auf den Weg zum nächsten Café von Xelapan.

Diese sind hier leicht zu finden, überall - in jedem Quartier, fast an jeder Ecke. Sie heissen "Calvario", "Delco", "Democracia", "Los Trigales" oder "La Esperanza", "Marimba", "Minerva" und "Molina", oder sie befinden sich ganz einfach in der Nähe des "Parque Central", oder in der "13 Avenida". Nicht zu vergessen das Xelapan namens "Correos", gegenüber der eigentlichen Post (Correos), die es ja leider nicht mehr gibt (doch es gibt Hoffnung!). Dieses Café ist ganz in der Nähe von Celas Maya, meiner Sprachschule, die leider auch geschlossen ist - wegen des Coronavirus.

Als es gestern bereits am eindunkeln war, beschlossen also auch wir, den grossen Laden von Xelapan Nuevo León aufzusuchen, der sich auf dem Weg zum Haus des Bruders meiner Koordinatorin befindet, um da ein paar leckere Süssigkeiten zu besorgen, um so das Abendessen zu vervollständigen, das wir in diesem bescheidenen Haus zubereiten wollten.

Nun, es ist die einfachste Sache der Welt, einige dieser Leckereien mitzubringen, um den Geschmack eines jeden Quetzalteken zu treffen, ob nun Familie oder Freunde, ob Weib oder Macho. Vor allem, wenn das Haus ganz in der Nähe des Vulkans Santa Maria steht, oder dieser zumindest von dort aus in seiner überwältigenden Schönheit zu sehen ist! Deshalb ist es zwingend notwendig, da süsse Gegenmassnahmen zu treffen, denn so nahe am Feuer der Erde hat die dünne Luft, hier so nah am Himmel, den Bewegungen der Erde nicht viel entgegenzusetzen.


Werbung von Xelapan, "Die Magie des Teilens"

Diese Nähe von irdischem Feuer und himmlischer Chöre wirkt sich auch auf Redewendungen aus, vor allem wenn es sich um einen fremden und verwirrten Menschen handelt, der versucht, die Herausforderungen einer so reichen Sprache wie der hier gesprochenen zu bewältigen; zumal sich das gesprochene Spanisch hier mit Wörtern von indigenen Sprachen vermischt, was das Erlernen dieser Sprache noch schwieriger macht. Und da dieser Mann schon einige Jahre auf dem Buckel hat und nicht alles vergessen will, was er in seinem Leben in seiner Heimat gelernt hat, sucht er immer wieder nach Möglichkeiten, diese neue Sprache an seine Bedürfnisse anzupassen, und sie zu verbessern. Aber selbst zu Hause, wo er vorher gelebt hatte, gab es keine geeigneten Verben, um Vorgänge auszudrücken, die etwas komplexer sind und besser mit dem wirklichen Leben in Einklang sind.

Zum Beispiel "aprender" (lernen) und "enseñar" (lehren). Der verrückte Alte versucht eben immer, neue Wörter und reichere Ausdrücke zu finden, wie in diesem Fall das Verb "aprenseñar". Es klingt sehr stimmig in seinen Ohren und seinem Gehirn, und zwar aufgrund seiner Erfahrung, dass man immer auch lernt, wenn man lehrt, und man auch lehrt, wenn man lernt. So ist er immer lernend am lehren und lehrt, während dem er lernt. Es sind wechselseitige Vorgänge, die zeigen, dass das Leben nicht nur von einer Vergangenheit in eine Zukunft marschiert, und auch nicht einfach mal dieses und dann das andere geschieht, sondern dass beides eben bereits auf geheimnisvolle Weise miteinander verwoben ist.


Antrag für die Aufnahme im Wörterbuch der die Real Academia Española

Wie zum Beispiel "trabajar” (arbeiten) und "disfrutar” (geniessen), die sich zu meiner Lieblingstätigkeit "trabafrutar” verbinden. Auf Deutsch vielleicht sowas wie “arbeissen” oder “geneiten”. Schwierig, nicht? Vielleicht eignet sich die Deutsche Sprache einfach besser zum Teilen als zum Verbinden?

Oder wie "temblar” (zittern) und "endulzar” (versüssen), die im Verb “dulcemblar” so schön zusammen klingen! Auf Deutsch, “Verzittern”? Oder “zitterüssen”, “versüttern”? Nein, das geht einfach nicht!

Aber “D-U-L-C-E-M-B-L-A-R! ¡Dios mío!

Da es jedoch nach Auskunft meiner Meisterin ganze 25 Jahre dauern könnte, bis sich solche - wenn auch sehr sinnvolle Verben - durchsetzen könnten, und in den Wortschatz der Real Academia Española aufgenommen würden, verzichtet der ewige Schüler auf solche Träume und konzentriert sich wieder auf die Süsse von lekkeren Pasteles, die dieses so schöne Land, so nahe am Himmel vor sich hin zitternd, bietet.

Vielen Dank, Santa María und Xelapan!

PS: dieser Text ist eine “Übersetzung” des Originals Dulces temblores idiomáticos”. Süsse Arbeit, beim Warten auf meine Guatelintekin, beim Veterinario!

1 Kommentar

Petra Schuseil, 17. Januar 2021

Ach ist das schön, dass man nein ICH hier kommentieren kann. Wunderbare Wortspielereien, die ich gern gelesen habe.

Und der Berg auf dem Foto ist der zitternde? Ich grüss dich herzlich als Fremde in deiner Heimat. P

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