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Warum nicht Yoga? 

8. April 2013, Jürg Messmer

Wer hätte das gedacht: Jürg und Yoga. Seit jeher bin ich allem irgendwie-esoterischem gegenüber sehr skeptisch gewesen.

Doch vor 3 Monaten habe ich mit Yoga begonnen. Warum? Einfach weil ich seit Jahren mehr und mehr unter "Nackenproblemen" gelitten habe und weder Physiotherapie noch sonst eine Therapie etwas dagegen geholfen haben. Und weil ich durch Anna's Enthusiasmus für Yoga angeregt worden bin - eine Freundin, die früher traditionell auch eher eso-kritisch eingestellt gewesen war. Probieren geht über studieren, sagte ich mir und meldete mich bei einer Cranio-Sakraltherapeutin an, die zugleich auch Yoga praktiziert und unterrrichtet.

Meine Nackenprobleme haben sich in der Zwischenzeit zwar nur unwesentlich verbessert, doch ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Ich erkenne die Notwendigkeit einer Änderung meiner Lebenshaltung, sehe die Möglichkeit. Reine Symptombekämpfung ist bedeutungslos. Diese Änderung kann nicht einfach konsumiert werden (Medikamente, passive Manipulation), und auch Top-Gesundheitsdienstleistungen, die dank viel Geld für einige wenige zugänglich sind, nützen da nicht mehr.

Meine Atmung hat sich weiter vertieft und der Umgang mit meinen Gefühlen und Ängsten entwickelt sich auf eine viel versprechende Art. Auch ist mir die tägliche Praxis eine Stütze in meiner gegenwärtigen Krise, die vor allem durch Lustlosigkeit und gleichzeitige Überforderung in meiner Arbeit geprägt ist. Die tägliche Praxis lüftet mein Hirn, inspiriert mich und bringt mir die notwendige Geduld, weil ich realisiere, wie wichtig diese lang vernachlässigte Arbeit für mich ist.

Seit Jahrzehnten bin ich immer wieder schwermütig (depressiv), und abwechselnd dazu manisch, gewesen. Das ist immer noch so. Vor Jahren habe ich mit Medikamenten aufgehört (keine Lust, den Teufel mit den Belzebub auszutreiben), und jetzt lerne ich langsam damit umzugehen, zu akzeptieren, dass das ein Teil von mir ist. Die meditative Körperarbeit - die Art, wie ich Yoga mache - bewirkt, dass ich einerseits mehr mit Gefühlen der Trauer, der Einsamkeit usw. konfrontiert werde, jedoch auch gleichzeitig diese besser annehmen kann. Und ich komme schneller aus den Tiefs heraus. Auch gibt mir die tägliche Praxis Halt, sie entwickelt sich langsam zu einer fast religiösen Praxis, ohne dass ich einer Religion fröhne.

Wichtig für diesen Prozess ist natürlich, dass ich zur Zeit viel Zeit habe, mir die Zeit nehme, weil ich weiss, dass langfristig dies mehr hilft, als wenn ich stur und verkrampft weiterzuarbeiten versuchen würde. Ich habe mir deswegen eine Sabbatzeit* "verschrieben". Gott sei Dank kann ich mir das leisten.

Diese tägliche Praxis inspiriert mich auch in meinem Denken. Ich denke viel über Produktivität und Langsamkeit, über den Zustand unserer heutigen Lebensrealität nach. Warum muss ich über 60 Jahre alt werden, um den Sinn von solchen Übungen zu erkennen. Warum wird in der Schule nur kompetitiver Leistungssport unterrichtet anstatt dass den Kindern auch eine meditativere Art von "Körperertüchtigung" (Horrorwort) unterrichtet wird, die einerseits als Gesundheitsprävention wirksamer ist und erst noch sowas wie Empathie fördern kann. Die Zeit des Krieges Einer-gegen-Alle und Alle-gegen-Einen ist doch längst vorbei. Es gibt schlicht keinen Platz mehr dafür. Anstatt dem besinnungslosen technischen Fortschritt zu fröhnen, anstatt unsere Welt zuzubetonieren und mit Gadgets zu überschwemmen wäre es doch an der Zeit, neue Forschungsgebiete zu erschliessen. Forschungsgebiete, die nicht erfordern, dass man auf immer gefährlichere Arten neue "materielle" Energiequellen erschliessen muss, sondern die andere, wirklich erneuerbare Energiequellen erschliessen.

Stell dir vor, wir könnten mindestens einen Teil unserer Heizenergie in unserem eigenen Körper generieren. Schlicht und einfach weil wir vital sind und uns nicht phantasielos damit begnügen, den bequemsten und von den gegenwärtigen Gewohnheiten und Trends vorgegebenen Weg zu gehen. Etwas gegen den Strom schwimmen schadet nichts (Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom). Stell dir vor, dass wir weniger Platz brauchen würden, schlicht und einfach weil wir bewusster leben würden und weniger "reservierten", "eigenen" physischen Raum benötigen würden. Stell dir vor, wir würden in fantasievoll gestalteten Gemeinwesen leben anstatt uns durch unser individuell-geklontes Leben in zersiedelten Eigenheim- oder sonstigen Wüsten mit Gadgets navigieren zu müssen.

Stell dir vor... Kannst du dir das vorstellen? Versuchs! All diese Gedanken sind natürlich nicht erst da, seit ich mit der täglichen (Yoga-)Praxis begonnen habe. Doch sie haben sich intensiviert. Meine Phantasie wird angeregt und ich sehe neue Möglichkeiten – Möglichkeiten, die mich nicht bereits von Beginn weg depressiv machen und zu Suizidgedanken anregen. Meine tägliche Praxis könnte auch Tai Chi, Chi Gong oder irgend eine andere meditativ-körperliche Praxis beinhalten, die nicht durch den möchtegern-effizienten Konsum- und Machbarkeitswahn geprägt ist.

Zugegeben, es kann mühsam sein. Oder vielleicht hast du sowieso immer das Gefühl, etwas zu verpassen und liebst es, wenn du einfach etwas einwerfen kannst, wenn du zum Beispiel Kopfweh hast. Akzeptiert: jedem/r das seine/ihre. Doch sollte dich der Drang mal überkommen und du möchtest etwas anderes ausprobieren: nur zu! Es gibt sie, die Abenteuer, die ohne Geld zu haben sind und auch nicht automatisch Umweltschäden mit sich bringen.

Hip hip, hurray ;=).

(Für Sprachwissenschafter: hooray)

* Sabbatzeit:
Eine Freundin hat mich darauf hingewiesen, dass ich in einer Sabbatical-Auszeit auch etwas lernen und nicht nur versauern oder vereinsamen sollte. Ich habe mir das zu Herzen genommen. Hier also meine Lernziele:

  • Ich muss nichts müssen, kann auch mal nichts tun - sogar versauern,
  • jede Nacht stelle ich meinen Computer ab (nicht auf Stand-by, nichts allzeit-bereit),
  • jeden Morgen mache ich zuerst meine Übungen und frühstücke, bevor ich den Computer anschalte
    wenn ich mal früh weg muss, dann kann ich die Übungen auch später nachholen, oder ausfallen lassen,
  • so oft als möglich gehe ich raus, laufen, mal stressig und unzufrieden, mal zufrieden - die Hauptsache: an die frische Luft,
  • und: wenn ich mich einsam fühle, dann ist das ok.


 

Schlagwörter: Gegen-den-strich, Gesellschaft, Gesundheit, Bewegung

5 Kommentare

Nick Bell, 10. April 2013

Hi Juerg Looks as if you're on the road to freedom. Keep up! Love and best wishes Nick

Noldi, 10. April 2013

Lieber Jürg, so öffentliche Blogstellungnahmen sind nicht so meein Ding. Dein Text jedoch freut mich und wie immer: Du schreibst sehr gut! Noldi

Regina Schlager, 11. April 2013

Lieber Jürg,

ein sehr schöner und mutiger Beitrag. Mich haben schon in der Schule diese kompetitiven Sportarten irritiert, wo es darum ging, wer ist besser und wer gewinnt - mit oft ziemlich rücksichtslosen Mitteln gegenüber dem eigenen Körper und den Schulkollegen. Aber das passt(e) halt genau hinein in unsere Denkhaltungen von Leistung und Konkurrenz, die wir möglichst bereits in der Schule verinnerlichen soll(t)en, damit wir uns dann später in der Gesellschaft zurecht finden.

Ich finde es schön, dass immer mehr Menschen Zugang finden zu anderen Umgangsformen mit dem eigenen Körper, mit dem Selbst und damit mit anderen und der Welt. Bei mir war und ist es hauptsächlich Taiji, Qigong und Feldenkrais.

Gruss, Regina

Franca, 26. Januar 2015

Lieber Jürg

Du bist ehrlich und das gefällt mir. Und du kannst deine Gedanken ausgezeichnet in Worte fassen. Deine Art zu meditieren ist Yoga, meine ist Zazen. Hauptsache zur Ruhe kommen, herunterfahren, einfach nur Sein in der Stille, ganz im Hier und Jetzt. Nichts wollen, ohne Ziel. Herzlich, Franca

vicky, 10. April 2015

Hola Jorgecito, no entiendo completamente todo pero me alegro mucho leer de ti. besos

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