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Geld und Liebe in Zeiten des Corona Virus 

11. März 2020, Jürg Messmer

Aus einem Impuls heraus hatte ich ihm erzählt, dass ich drei Frauen in Guatemala viel Geld gegeben hätte, ohne den Mann und seine Art, die Dinge zu sehen, zu kennen – weil er mir als inspirierender Gesprächspartner empfohlen worden war. Und direkt wie er war, fragte er mich, ob ich denn deshalb so viele FreundInnen hätte, wegen dem Geld?

Das traf mich natürlich, tief ins Mark! Aber gleich auch: muss ich mir so was denn immer wieder anhören? Offensichtlich ja, es ist ja eine berechtigte Frage, vor allem wenn man die Vorgeschichte nicht kennt. Doch warum muss ich das überhaupt abstreiten? Kommt es denn überhaupt drauf an, weshalb man Freunde hat, ist es nicht viel wichtiger, überhaupt Freunde zu haben? Oder gar eine Geliebte?

Geld ist natürlich etwas, das die Geister scheidet. So hat ein Freund mich mal gewarnt, dass ich den Leuten nicht einfach sagen könne, dass oder wie viel Geld ich hätte, denn das sei Macht ausüben auf diese anderen. Zudem sähen die Menschen dann nur noch das Geld in mir und nicht mich, die Person, die ich wirklich sei!

Oder ein anderer sagte, ob ich Gott spielen wolle? Ja, warum nicht? Spielen wir nicht mit jeder Handlung Gott, ob wir was tun oder es lassen? Eine guatemaltekische Freundin hat mir gesagt, dass es nur eine Sünde gebe, wenn man es besser wisse und nicht mache.

Die Frage ist natürlich, ob wir selber leiden. Oder: ob wir etwas ändern wollen? Aber auch: müssen wir das denn überhaupt?

Doch mir stinkt's! Ich bin es satt, dieser meiner Welt zuzuschauen, wie ein Teil der Welt immer reicher wird, die Erde zubetoniert und die Themen bestimmt, und die anderen auf der Strecke bleiben. Wenigstens deren Ruf, auch meiner! Wenn wir die "Armen” denn noch in Ruhe lassen würden, ok. Doch jeder letzte Mensch dieser Welt muss unserer zivilisierten, kapitalistischen Dynamik geopfert werden, denn es ist ja klar, der Krieg ist erst gewonnen, wenn jedem Einzelnen klar ist, dass wir auf die einzig richtige Art und Weise leben und denken. Doch sie sollen ja nicht einmal von uns lernen! Wenn uns die Chinesen in unserer eigenen Strategie überholen, dann beklagen wir, dass sie auch unsere Werte übernehmen sollen. Doch diese Werte haben ja wir bestimmt. Fragen wir sie? Sind die anderen denn in unserem demokratischen Modell inbegriffen?

Der Kapitalismus ist schuld? Die Wissenschaft, die angewandte? Die Verschwörungstheoretiker? Die Impfgegner? Oder die, die sich nicht die Hände waschen? Die Krippen-Leiterinnen, die es noch wagen, mit Kindern zu spielen? Oder die Alten, die noch mit ihren Enkeln Zeit verbringen? Ist es nicht grad jetzt wichtig, die Dinge langsam anzugehen, auf einander zu hören? Das ist schwierig, gegessen!, ¡pan comido! Auch ich falle leicht in Panik, vor allem wenn ich Atembeschwerden habe, und denke, ich sollte endlich aufhören zu rauchen. Es ist zu spät! Es ist nie zu spät! Was gilt? Tatsache ist, ich habe eben wieder eine geraucht, wider besseren Wissens. Ja, ich weiss es nicht besser.

Es spielt keine Rolle, wo dieses Corona-Virus auf den Menschen übergesprungen ist, das Corona-Virus ist ja schon lange auch bei uns – fragt die Bauern! Sowieso ist es bereits in unser aller Köpfe, also nicht weit. Es ist da und fordert uns heraus. Wir sind in einer globalisierten Welt und auch immer wieder gerne bereit gewesen, diese Globalisierung auf die Spitze zu treiben, um davon zu profitieren. Doch lassen wir nicht nur Ökonomen, Mediziner und Virologen, oder Politiker das Thema bestimmen. Wir entscheiden letztlich.

Dieses Geld hatte ich also wie gesagt spontan, instinktiv und mit Freude gegeben, auch weil ich sah, dass ich da jemanden von einer grossen Last befreien, oder helfen konnte, einen Traum zu verwirklichen, oder ihre Arbeit besser tun zu können, und dabei mich selbst auch befreie. Und ich hatte ja auch das Geld, genug, dass auch für mich was übrig bleibt. Es war mir gleich klar, dass ich das Geld bedingungslos (Experiment!) geben wollte, was sich jedoch schnell als Illusion herausgestellt hat, denn das Bedingungslose gibt es nicht. Wir alle sind bedingt. Leben ist bedingt.

Es stimmt, ich suche den Widerspruch, die heiklen Themen, sie sind in mir leicht zu finden. Ich suche den kleinsten gemeinsamen Nenner, das Gleichgewicht. Das ist zugegebenermassen kein einfaches Unterfangen, das Einfache ist komplex. Aber genüsslich! Doch immer wieder auch diese gemischten Gefühle, besonders jetzt in dieser angespannten Zeit. Geld und Liebe, das ist, als würde man von Ideal und Wirklichkeit sprechen. Die zwei Seiten des Einen.

Es ist so, nie in meinem Leben hatte ich Angst davor gehabt, einmal kein Geld mehr zu haben um zu leben. Weiss der Kuckuck warum dies so ist: meine Herkunft, meine Erziehung, meine Gene, der Stern unter dem ich geboren bin? Oder kann ich einfach denken? Mich an den Haaren aus dem Sumpf ziehen, um mich gleich in die nächste Sch..... zu reiten? Geld scheint ja manchmal alles, worum sich die Welt dreht, wenigstens in dem Teil der Welt, in dem es erfunden wurde. Und es ist ja zugegebenermassen auch eine nützliche Sache. Grosse Worte dank gedeckter Kreditkarte. Geld scheint ja manchmal das Einzige, was ich zur Verfügung habe. Manchmal zweifle ich an der Liebe, an der Realität der Liebe, die mir vor allem wie ein Handel vorkommt: Komfort, Sicherheit, Zugehörigkeit, Anerkennung. Ja, das wünschen wir uns alle, auch ich, der ich sage, dass ich die Liebe mit Geld kaufe.

Was macht man, wenn man die Liebe nicht kennt, doch Geld hat, und sich trotzdem nach der Liebe sehnt, die man nicht kennt? In dieser Frage bin ich nie viel weiter gekommen, doch das Geld, das bei mir brach lag ist mir immer mehr aufgestossen. Also versuche ich, mein Geld in Liebe umzutauschen, ich setze es ein. Doch wer glaubt denn schon, dass man Geld in Liebe umwandeln kann, schwierig, der Wechselkurs ist ja unbekannt, und man kann keine Währungsgewinne machen. Doch ich bin ein intuitiver Mensch, ich vertraue meinen Gedanken und meinen Gefühlen, denn diese sind alles, was mir zur Verfügung steht. Das ist manchmal auch schwierig, manchmal fühle ich wenig. Eine Leere breitet sich dann kräftig aus, und ich falle. Gott sei dank erinnere ich mich in solchen Momenten meiner vielen Träume, in denen ich ins Bodenlose falle, und sanft lande.

Selbst für mich war diese plötzliche Entscheidung eine Überraschung! Das war noch vor dem Corona Virus. Ein Geschenk Gottes, sagte ich allen, denn ich empfand mich nicht als Akteur, es war als hätte ich den grosszügigen Geber nur gespielt, bestand darauf, nur der Postbote zu sein: el cartero. Eine Rolle wie andere. Das ist im armen Land, reich an Hoffnung, gut angekommen. In der Schweiz hingegen weniger. Einige haben mich heftig kritisiert, andere unangenehme Fragen gestellt. Es waren nicht die armen Leute. Doch ich bin dafür dankbar, dass ich dabei meine Sinne habe schärfen und mein Verhalten anpassen können. Früher hätte ich an meinem Verstand gezweifelt, doch nun weiss ich, dass da in Guatemala einfach ein Ungleichgewicht wieder hergestellt worden ist. Jahrelang habe ich für wenig Geld intensive Zeiten in Guatemala verbracht, deshalb immer auch teilweise mein schlechtes Gewissen mit kleinen Projekten, zu beschwichtigen versucht. Doch diesmal ist es dann geschehen. Es war wie ein Erdbeben, das die Spannung, die durch die langsame Verschiebung von tektonische Platten entsteht, dann entladet. Die Frage stellt sich, ob nicht auch das Corona Virus eher Ausdruck unserer kollektiven Zwiespalts ist, also der Moment ist, in dem ein grosses Ungleichgewicht wieder mehr ins Lot gebracht wird, oder werden kann. Doch solche Fragen stellt sich Wissenschaft und Politik nicht. Man kann die Frage nicht genau definieren, den klaren Rahmen nicht bestimmen und das Resultat vor allem nicht messen. Statistik hilft da nicht.

Wir sind Teil eines Experimentes. Nein, nicht an einem fremden Körper, eines vielleicht armen oder arbeitslosen Menschen, sondern an uns selbst. Wer ist verantwortlich? Soweit es mich betrifft, bin ich verantwortlich, auch für meine Unwissenheit, für meine Fehler. Ich kann mir Mühe geben, eine gute Absicht haben, doch die Auswirkungen kann ich nicht kontrollieren. In was sich meine Absicht wandelt, das weiss ich nicht. Ob ich die Regeln befolge oder nicht, wie ich handle, so oder so ist es immer eine politische Handlung. Ich bin der Kapitän in meiner Welt, der einzige, der sie so sieht und entsprechend handeln kann.

Warum sollen jetzt die Alten und Kranken besonders geschützt werden? Mein Bruder sagte, dass halt das individuelle Leben sehr an Wert zugenommen hätte. Ich glaube, ich weiss was er meint. Auch ich schätze ja diesen Wert, möchte wertvoll sein. Auch ich möchte noch leben und nützlich sein, erkennen, dass mein Leben einen Sinn macht. Doch welcher Aufwand soll da getrieben werden? Und warum jetzt, dieses Corona-Virus? Als emotionaler Mensch, auch manchmal gefährdet, Verschwörungstheorien zu verfallen, könnte ich ja sagen: Jetzt geht es halt um uns reiche Leute, um all die alten Leute im "Norden" und im "Westen", die ja gleichzeitig oft die Reichsten sind, die immer noch bestimmen. Die Kriegsgeneration und deren Erben, wie ich. Es ist unsere Welt, nicht nur die unserer Eltern.

Ich nehme an, dass viele über Geld nachdenken und sich fragen, was damit zu machen ist. Klar, jene die Familien und Unternehmen haben, können sich immer auf deren Zukunft berufen, und dass sie den Ihrigen Sorge tragen wollen und müssen. Sie haben sozusagen eine reale Zukunft. Doch was machen wir, die wir keine Kinder haben, die wir keine Unternehmer sind, nur Unternehmer unseres eigenen Lebens. Sozusagen das Füllmaterial zwischen denjenigen, die klare Ziele und Wünsche haben, die wissen, was Verantwortung ist?

Das mit dem Geld ist so eine Sache. Wir müssen ja damit umgehen, auf die eine oder andere Art. Wir hoffen, es kontrollieren zu können, doch meiner Erfahrung nach haben wir das nicht im Griff. So habe ich im November in Guatemala viel Geld ausgegeben. Im Dezember und Januar habe ich dann alle meine Wertschriften verkaufen müssen, weil ich wegen meinen Auswanderungsplänen das Geld flüssig und bereit zur Überweisung machen musste, denn ich kann nicht in Guatemala leben und gleichzeitig ein Bankkonto in der “sicheren” Schweiz haben. Kein Automatischer Informationsaustausch, kein Doppelbesteuerungsabkommen! Bei diesem Verkauf habe ich grosse Kursgewinne realisiert, weil ich diese Verkäufe noch vor dem Erscheinen des Virus und der Kursabstürze gemacht hatte. Zufall. Glück. Doch dann kam mir der Gedanke, dass nun vielleicht die Banken zusammenbrechen und ich deswegen das meiste meines Geldes wieder verlieren könnte. Es ist verrückt, wie schnell sich alles ändern kann. Deshalb akzeptiere ich einfach das Leben und versuche, mit meinem Geld etwas Sinnvolles zu machen. Doch was? Es wird sich weisen.

Kann ich mit Geld Liebe kaufen? Nein? Warum nicht bei einer Liebesdienerin? Ist das so schlimm, oder einfach eine Möglichkeit? Kann ich auf dem Geld sitzen und die Liebe überzeugen, bei mir zu bleiben? Nein, auch das nicht, oder vielleicht doch? Also bleiben wir aufmerksam und machen, das was wir für richtig halten, auch wenn es mal vom Gewohnten abweichen sollte. Lassen wir uns überraschen.

PS: ich denke oft an Schuldgefühle, an Scham. Dabei auch an die Psychologie. An die Befreiung von eben solchen Schuld- und Schamgefühlen. An die Erbsünde. Nein, ich bin kein religiöser Fanatiker und glaube nicht an Strafe. Doch sind diese Gefühle nicht Teil unserer Verletzlichkeit, die uns achtsamer machen können, indem wir uns fragen, ob wir nicht doch irgendwie mitschuldig sind? Und uns täglich fragen, was wir besser machen können? Nicht um perfekt zu sein, aber um zu leben, uns zu bewegen, mit den anderen zusammen, denn sie sind Teil unseres Lebens, sie sind unsere Erfahrung, unser Ärgernis und unsere Freude. Leben wir also, das ist mein Vorschlag. Und leider, oder zum Glück, auch mit oder ohne Geld. Teilen wir, wo immer möglich. Oder nicht, weil wir etwas wichtigeres im Sinne haben. Was weiss ich schon. Doch lasst auch mich meine Fehler machen. Es ist gut möglich, dass ich dabei auch mal etwas richtig mache.

Vor einigen Tagen bin ich aufgewacht und wusste, ich bin ein Mensch. Was für ein befreiendes Gefühl. Das war zu Beginn der Zeiten des Corona Virus. Danke.

PS II: Ich weiss, niemand ist wirklich geizig. Ich habe gelernt, das Sparen für bessere Zeiten zu anerkennen und zu schätzen. Auch ich bin froh, dass ich zur Zeit immer noch über Geld verfügen kann. Ein Privileg, Verantwortung auch, sagt so mancher. Doch wie diese Verantwortung zu tragen, wie diese Frage zu beantworten ist, weiss jeder selber am besten. Doch wer weiss, sparen für bessere Zeiten ist ja vielleicht nicht immer angesagt. Wann kommen die besseren Zeiten? Leben wir nicht schon in der besten aller Zeiten, auch wenn dies nicht so scheint?

PS III: Ein simpler, ja kitschiger Schluss zu diesem Textes: hören wir auf das Herz. Verwenden wir den Verstand. Und lassen sie zusammen tanzen. Genauso wie auch Geld und Liebe zusammen tanzen können. Amen. :-)

Schlagwörter: Gegen-den-strich, Guatemala, Hoffnung

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