Bist du dabei?
15. April 2020, Jürg Messmer
Gott, oh Gott!
Nein, nicht schon wieder dieser! wird der eine oder die andere denken. Doch du musst dich gedulden, ich bin stur und unverbesserlich! Ich träume weiter, gefordert von Bedingungen, die auch für mich sich ständig ändern.
Ich möchte ja - noch immer - Ende Mai auf Reisen gehen. Doch das ist eine Herausforderung, Reisen ist ja nicht angesagt, fast schon eine illegale Guerillatätigkeit, die ich im Geheimen werde machen müssen. Der Albtraum: ich bin frei Ende Mai, doch kann ich nirgendwo hingehen! Doch habe ich das Einfache ja nie wirklich gesucht, das war mir immer zu langweilig. Ein Flug an einen interessanten Ort, ein Städteflug, nach Amsterdam, Rom oder New York, oder an Orte mit wildester, noch “unberührter” Natur? Ja, manchmal hätte ich mir gewünscht, das einfach tun zu können, doch wusste ich halt immer auch, dass mit meinem Besuch diese wilde Natur ja gleich eben gefährdet ist. Ja, das wusste ich.
Oft hatte ich vom eigenen Haus an ruhigem Ort geträumt, doch den Gedanken daran aufgegeben, weil mir bewusst geworden war, dass ich in solch erträumten Glück mich umgehend gefangen fühlen würde - das Gefängnis trage ich im Gepäck mit. Und auch die Ruhe wäre bald vorbei gewesen. Freunde hätten mich mit Auto besucht, das hätte ich mir auch sehr gewünscht, denn ich habe liebe Freunde, auch solche die Autos besitzen. So habe ich es gelassen.
Hier stehe ich also - oder besser schreibe - an meinem Computer in meiner langjährigen Alters-Wohnung, im ländlichen Suburbia von Zürich, und überlege mir, wie weiter. Meine liebste Art zu überlegen, ist zu träumen. Die Gedanken ziehen lassen, Ideen, die Halt machen, begrüssen und bewirten, und sie wieder ziehen lassen - Rumi lässt uns grüssen. Wir teilen ja die Gedanken. Es ist eine gemeinsame Welt, in der wir uns frei bedienen können. Na, ja, frei - halt mit Verantwortung. Nein, ich hasse dieses Wort. Lieber gebe ich meinen Senf dazu, und lasse die Sätze angereichert weiterziehen. Wir alle entwickeln die Welt weiter, es wäre nicht erstaunlich, wenn auch Tiere und Pflanzen, auch Steine, kräftig mitmischten! Was für ein Abenteuer, das mit dem Menschen und seinem Platz in der Welt.
Welchen Platz haben wir denn, sind wir die Meister? Ja, gar die Schmiede unseres eigenen Glücks? Ja, auch das, doch ist es etwas komplexer - herrlich kompliziert. Denn auch wenn wir denken, die Meister zu sein, so sind wir halt doch nur ein Gesicht, Standpunkt und Spieler in einem Spiel. Nein, kein böses Spiel. Das Böse und das Gute ist das Hobby von uns Menschen. Es ist ein interessantes, wunderbares Spiel. Und wir können uns überraschen lassen. Ja, einfach weil auch Gott überrascht werden möchte, und überrascht wird. Sicher nicht nur ein etwas langweiliger Bürokrat, der erwägtes Leben in Statistiken zu fassen sucht, und Menschen entspechend vernünftig leben und sterben lässt. Einfach ein Mitspieler, den wir alle zu brauchen oder lieben scheinen, ob er nun Gott, Allah, Hun Ahau, Manitu oder Mammon heisst. Oder wie Atheisten, die nicht an den Einen glauben, um sich gleich tiefer in seine Armen zu stürzen. ¡Graciosa la vida!
Wir brauchen einfach ab und zu Helden, auch wenn Tina Turner beklagt, dass wir keinen weiteren Helden brauchen* - und ich stimme da ja auch zu. Das Leben ist ja die reine Demokratie. Doch das scheinen ja nur wenige zu verstehen. Dürfen auch nur wenige, denn sonst wäre das Spiel nicht mehr interessant, der Ausgang nicht offen. Und stellt euch vor, die ganze Welt wäre so gut und sauber organisiert, und geregelt, wie die Schweiz, oder Deutschland? Gott-Oh-Gott. Verschon mich bitte. Doch geniesse ich es auch, auf meinem Balkon zu sitzen und meine Wege zu planen oder – besser – zu imaginieren. Und einen nach aktuellem Fahrplan pünktlich abgehenden Zug zu besteigen, und am Bankomat mein Bargeld zuverlässig zu erhalten. Im Wissen, dass es oft anders kommt, als man denkt.
Ich erinnere mich an die Allmachtsphantasien, die ich als Kind so gerne willkommen geheissen hatte. Zum Beispiel jene, dass ich eine Nervensäge mit einem trocken Schlag in die Stille befördern würde, nachdem er mich so lange immer geplagt hatte, dieses schwache Wesen. Ich wusste, das würde ein Leichtes sein, wenn ich es denn wollte, trotz meiner ewigen Unsicherheit. Doch das war mir irgendwie zu leicht, ich wollte mir dieses Vergnügen auf später aufsparen. Meines Vaters grösste Freude war immer gewesen, Ferien zu planen und vorzubereiten. Ich hatte diese Art umständlicher Vorfreude nie ganz begriffen. Doch spätestens seit etwa zwei Jahren habe ich mich mit dieser Art Freude vertraut machen können. Diese wunderbare Mischung aus Unsicherheit und Vertrauen. Sogar die Vorfreude ist ja hier und jetzt. Begriffen.
Auch musste ich mich punkto solcher Phantasien gleich auch mit den Psychologen und ihrem Wissen auseinandersetzen, die solche Phantasien dem Kind in Entwicklung zuzuordnen wissen, beim Erwachsenen sie jedoch als Krankheit diagnostizieren müssen. Ein weites Feld an Auseinandersetzungen, vor allem für einen, der immer Kind hat bleiben wollen. Und darauf besteht, Kind zu bleiben :-) Und ja, ärgere dich nur: Kind Gottes!
Es lohnt sich nicht, dich deshalb zu ärgern, es ist ja nur ein Wort, wie du selber auch sagen würdest. Doch trotzdem haben solche Worte doch eine eigenartige Kraft inne, nicht? Das kannst du nicht bestreiten, sonst würde es dich nicht ärgern. Erwischt! Sehr schön, spielen wir weiter!
Eine andere Phantasie war die, dass ich wie Telly Savallas in Kojak, oder die schöne, wilde Polizistin im Freizeitkleid, im privaten Auto herumkurven würde, aufmerksam und mit mobilem Blaulicht ausgerüstet, das ich im Notfall einfach aufs Dach haften könnte, um der Dringlichkeit meiner wichtigen Aufgabe Ausdruck zu verleihen. Auf gleiche Weise stelle ich mir vor, dass sich, mit Pass mit Geheimzeichen in meiner Tasche, an der Grenze zu Frankreich gleich Tür und Tor öffnen, und leicht die Grenze sich überschreiten lasse. Als Teil der Verkleidung werde ich auch eine Gesichtsmaske mit mir tragen, und ein Schild auf dem Rucksack, das sagt: Bitte haltet die soziale Distanz ein, zu unserem beider Schutz! (natürlich auf französisch) - an meinem Willen, das Gleiche zu tun, soll es nicht fehlen.
Ist eine interessante Ausgangslage. Ich stelle mir auch vor, dass ich zufällig halt doch mit diagnostizierter CV-Ansteckung im Spital lande, und mir da als Sterbenden eine Krankenschwester gegenübersteht. Voll in Schutzanzug, Gesichtsmaske und Chirurgenhandschuhe, und die still weint, weil sie mich zum Trost nicht in die Arme nehmen kann. Und ich ihr dann traurig zu lächle, um ihr gleich zuzuzwinkern, und scheu lächelnd sage, dass manche von solchen Situationen in ihrer Freizeit träumen würden. Diese Form von Spiel, freiwillig geplant und ausgeführt. Also lass uns die Situation geniessen! Wir werden noch genügend Möglichkeit haben, uns auch nackt und ohne Rüstung zu berühren. Ay, ay, ay, die Phantasie geht mit mir durch!
Das ist der Preis dafür, ein Träumer zu sein, vor allem wenn man gleich beginnt, sie umzusetzen. Es wird manchmal etwas wild. Doch bin ich dankbar, selbst in solchen hochorganisierten und geregelten Zeiten, noch interessante, wilde Erfahrungen machen zu können, interessanter als jedes vom Menschen inszenierte “Dschungel-Camp”.
Also werde ich dem französischen Konsulat schreiben, und meine Situation schildern, dass ich bereits im November entschieden hätte, nach Guatemala auszuwandern, und als erstes über Frankreich, und weiter mit dem Schiff von Cherbourg nach Irland hätte reisen wollen, und dass der Träum noch immer derselbe sei. Ich hätte keine Wohnung mehr, kein Verbleib und würde gerne durch Frankreich wandern oder reisen, unter Einhaltung aller Sicherheitsbedingungen. Das sollte doch möglich sein. Bitte! Sonst würde ich vielleicht einfach über die grüne Grenze gehen, als wisse ich von nichts. Ganz einfach, weil es ja auch stimmt.
Irgendwie werde ich schon mich durchmischeln können, ich bin ja immer wieder auf allen vier Füssen gelandet, wie die Katze – wie unsere Mutter uns dies immer versichert hatte. Also wie gesagt, mein Plan besteht noch immer, im September in Xela, nahe dem Vulkan St. Maria, in Guatemala anzukommen. Ich habe es ja versprochen. Ein Traummonat, der September, Geburtsmonat von FreundInnen, schönes mildes Sonnenlicht, und die beginnenden lodernden Farben der Blätter, die Winterschlaf und Veränderung ankündigen – auch hier in der Schweiz.
Ich habe allen Grund, mich zu freuen, und zu vertrauen, dass wenn ich mal wieder ganz am Zweifeln und Verzweifeln bin, Gott einfach am kochen ist – dabei, eine würzige Speise vorzubereiten, ganz wie mein grosser Bruder es so oft macht. Das schmeckt. So einfach ist es. Gott sei Dank!
Träumen wir doch einfach weiter. Bist du dabei?
Song: Tina Turner*: “We don't need another hero” (...we don't need another way home)
Douglas Adams: “Per Anhalter durch die Galaxis” (Buch, Film, Hörbuch, etc.)
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Noldi, 15. April 2020
Ich bin dabei! Toll mit Bild. Aber warum hier die Drillinge? Und warum erst am Ende (ja ich weiss ja, all diese Fragen machens ja auch kompliziert)?
Jürg Messmer, 15. April 2020
Die Drillinge sind mir einfach ins Gehirn gesprungen, wegen der drei Katzen, die auf den Beinen landen, wegen den Kämpfen, und wegen dem Koch. Und weil Mami und Papi vorkommen. Familie halt. Ausserdem fand ich sie irgendwie passend, noch mehr jetzt, wo du etwas verwirrt gefragt hast :-)