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Verwirrt, visionär oder verrückt? 

2. April 2020, Jürg Messmer

Wenn ich so vor mich hin denke, schreibe und lebe, bin ich natürlich immer mit der Frage des Sinnes konfrontiert. Inzwischen wissen wahrscheinlich die meisten, dass ich ein Träumer bin, ein Spinner, manchmal ein Nestbeschmutzer, oder Störenfried. Das versteh ich gut. Ich bin zerrissen zwischen Ideal und Wirklichkeit.

Man könnte auch sagen, zwischen den Kräften, die mein Vater und meine Mutter mir mitgegeben haben, zwischen Wissen und Vernunft, und Glauben und Hoffnung.

Man kann schon sagen, dass meine langjährige Auseinandersetzung mit Guatemala, insbesondere mein letzter Aufenthalt da, Schlüsselerlebnisse für mich gewesen sind, immer noch sind. Dies ist natürlich eine persönliche Erfahrung, doch denke und hoffe ich, dass persönliche Erfahrungen immer über die Person hinausweisen, weil wir Teil eines Ganzen sind.

Ja, die Hoffnung steht im Gegensatz zur realistischen Einschätzung und zur Wissenschaft. Doch muss sie denn nur Gegensatz sein. Können Wissen, das Streben nach Erkenntnis, und Hoffnung nicht gemeinsam tanzen?

H-Opium (Hoffnung als Opium) sagt ein Freund immer wieder, und ich bin nie sicher, ob er das jetzt kritisch oder zynisch meint, oder einfach als Frage in den Raum stellt. Doch wie ich es bereits erwähnt hatte, habe ich erkannt, oder glaube zu erkennen, dass Hoffnung bereits die Erfüllung des Versprechens beinhaltet! Vor allem wer positiv denkt, der kann dies wohl kaum bestreiten, oder nicht? Die Anderen natürlich immer - sonst wäre es ja langweilig.

Ich träume also oft von einer besseren Welt, denn ich bin ein ewig Unzufriedener. Gleichzeitig befürchte ich als Skeptiker auch, dass sich meine Träume verwirklichen und dann als Albtraum sich erweisen könnten. Diese Befürchtung teile ich wahrscheinlich mit anderen. Die Lösung ist meiner Meinung nach ganz einfach: Träumen wir zusammen! Oder machen wir das bereits?

Nun ist es so, dass ich halt schon etwas konservativ bin, und davor habe ich auch etwas Angst. Ab und zu befürchte ich, dass ich in einer “rechten” Ecke landen könnte: Ethik, Moral, Schöpfungsglaube, wir gegen die Anderen, usw. Das möchte ich nicht! Doch ganz kann ich das nicht vor mir weisen, auch aus meinem Verständnis heraus, dass wenn ich etwas ausschliesse, ich gleich auch einen Teil von mir selbst verneine. Yes or No.

Ich liebe diese Welt, diesen Planeten, diese Mutter Erde. Und ich mache mir Sorgen. Ich möchte diese Welt irgendwie bewahren. Eine eben konservative Haltung. Doch wie soll sie bewahrt werden? Das kann nicht gehen, sie verändert sich immer. Doch mein Traum bleibt, dass wir Menschen mal trotzdem noch Menschen werden könnten, im Sinne vom Herrscher der Welt, der zugleich deren grösster Diener ist. Wie der Stammchef im Dorf, der erst zufrieden ist, wenn jede einzelne Stimme gehört und inbegriffen ist. Also auch die Tiere, die Pflanzen, die Bäume, das Wasser, die Luft und die Steine. Der Himmel auf Erden. Aber eben, auch kein Albtraum bitte :-)

Ich glaube nicht, dass es die Schöpfung gibt, im Sinne eines Buches, in dem alles bereits festgeschrieben ist. Trotzdem befürchte ich manchmal, dass wir nur Teil eines Programmes sind, das einfach abläuft, ohne dass wir etwas zu sagen hätten. Nein, das kann nicht sein! Das darf nicht sein! Dann rette ich meinen Arsch und denke: nein, so ist es ja auch nicht, denn ich will es nicht so haben. Es ist eben eine wirklich intelligente "Maschine", die sich immer neu erfindet, die Essenz, der Kern also in Bewegung und ein Geheimnis bleibt – ein Geheimnis, dass man zwar erforschen kann und darf, auch sollte und sogar muss, aber trotzdem das ewige Rätsel bleibt, das wir nie lösen können. Das wäre der Tod, das Ende des Spiels. Vielleicht das, was manche Nichts oder Leere nennen.

Kürzlich hat mir ein Freund vorgeworfen, dass ich Nabelschau betreibe, dass ich Persönliches so lange verallgemeinere, dass meine Gedanken sich wieder aufheben würden, diese denn auch gar nichts zur Bekämpfung der akuten Gefahr beitragen würden! Und mir schien, als wären meine Gedanken gar eine Gefahr für die Menschheit.

Er meinte, dass diese Katastrophe hätte vermieden werden können. Und er hatte den Markt in Wuhan im Blick, woher sich das Corona Virus nach Expertenmeinung ausgebreitet haben soll. Es ist mir klar, dass so ein Markt aus unserer Sicht ein schmerzhafter Dorn im Auge ist. So ein Virus kann bei uns ja nicht entstehen, wir haben es im Griff. Vor allem auch, weil wir ja keine dreckige Arbeit hier machen. Also warum nicht den Blick auch auf die Globalisierung wenden, die billigen Produkte, die wir alle wollen, und die Verschmutzung, die damit einhergeht? Es gibt manche, die meinen, dass das Corona-Virus nur bereits angeschlagene Lungen befällt, da offene Türen findet.

Wie in der benachtbarten Lombardei, ein Zentrum menschlicher Produktivität und Emsigkeit. Eine von vielen, die wir Schweizer - vernetzt und weltgewandt - im Ausland zur Verfügung haben. Wir Schweizer lassen gerne - in vieler Hinsicht - gefährliche Arbeiten billig im Ausland verrichten und halten damit unser Land sauber. Dabei wird unsere Demokratie, unser Weltbild, das wir so liebevoll pflegen, auch davor geschützt, sich als Vorbild für die Welt beweisen zu müssen. Selbst unser Finanzplatz leuchtet irgendwie weiter. Anständige Eigenkapitaldeckung und vital. Im schlimmsten Fall sind wir gut aufgestellt, gut versichert. Wir haben ja viel Geld, erst noch alles selber erabeitet! Falls nötig könnten wir auch unsere Banken wieder retten, und die Kosten sogar basisdemokratisch mittragen. Bei uns macht auch die Putzfrau und der freie Mitarbeiter bei einer solchen Rettung gerne mit. Insel der Glückseeligkeit, in unserem Bewusstsein fest verankert. Selbst einen klaren Blick auf die Welt können wir uns leisten. Wir wissen, was Trump oder andere Ausländer falsch machen, die Europäer und die Chinesen.

Kritische Stimmen gibt es durchaus viele, auch hier, doch wird ihnen - mindestens im öffentlichen Diskurs (sprich Leitmedien…) – kaum Platz eingeräumt. Das wäre ja auch zu kompliziert, in solchen Situationen muss man handeln können, sich für eine Strategie entscheiden. Ja, das versteh ich. Ich habe mich ja auch grad heftig ereifert, schwierige Gedanken gewälzt, als wäre die Schweiz, die ich ja auch liebe, mein China oder mein Trump!

Trotzdem: den Todes-Statistiken und politisch bereinigten wissenschaftlichen Erkenntnissen setze ich meine Träume und Hoffnungen entgegen. Ich will nicht keimfrei leben, ohne die Möglichkeit dessen, was wir Liebe nennen. Und ich spreche nicht von der allgemeingültigen Liebe, sondern die im Herzen. Aus dem Sumpf der Widersprüche, des Schmerzens.

Meine Lieblingsgeschichte ist die von Gott, der sich langweilt im Nichts, im Zustand ewiger Glückseligkeit, und zu träumen beginnt: “Verstecken spielen” (Oder Räuber und Polizist). Ist ja spannend, die Kinder lieben es. Und klar, manchmal versteckt man etwas halt so gut, dass man das Versteckte kaum wieder findet. Das ist ärgerlich! Ein Albtraum! Doch schliesslich findet sich immer eine Lösung – so wie meine Mutter, die jeden Abend Patience gespielt und dabei gehofft hatte, dass das Spiel am Schluss aufgehen würde. Sie hatte dabei an uns Buben gedacht, und das Beste für uns gewünscht. Und wenn das Spiel mal nicht aufging, dann half sie nach, und meinte etwas beschämt und verschmitzt lächelnd, dass man mit "etwas schwindeln” dem Schicksal doch ab und zu auch auf die Sprünge helfen, ein Schnippchen schlagen könne. Das hat mich immer sehr berührt.

Sie war "naiv", hat nicht so genau zwischen verrückt und vernünftig unterschieden, und sich an Visionen, an Geschichten, immer erfreut. Und zu meiner Erleichterung gemeint, dass der Vater nicht so streng sei, wie mir dies ab und zu erscheine. Gott sei Dank.

Schlagwörter: Politik, Hoffnung

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