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Der rauchende Yogi 

23. Mai 2021, Jürg Messmer

Tönt einfach stimmiger, als wenn ich von einem "Yoga-praktizierenden" Raucher sprechen oder denken würde. Zudem sind die Prioritäten klar zu erkennen, auch wenn es mit dem Unterscheiden derselben nicht ganz einfach ist.

Nebel, zum Beispiel, der Himmel grau, oder ein Regen der vom Himmel fällt, als hätte Gott nun seine Badewanne über Xela ausgeschüttet und man nur hoffen könne, dass er das Kind nicht gleich mit dem Bade ausgeschüttet habe, oder dass es wenigsten als Ganzes angekommen sei.

Doch der Regen kam erst später. Am Morgen war ich bereits um 4 Uhr aufgestanden, nachdem ich vorher bereits einige Male auf die Uhrzeit geschaut und gedacht oder gehofft hatte, dass es nun schon Morgen sei; und der wurde dann auch, eben um 4 Uhr morgens.

Ich stand auf, wärmte den Kaffee, und drehte eine Zigarette. Und das, um mich aufs Yoga vorzubereiten. Yoga ist ja Leben, und damit auch die Scham darüber inbegriffen, dass ich jetzt, anstatt Tee zu trinken und Atemübungen zu machen, eben Kaffee trinke und rauche. Unverbesserlich. Ja, auch das. Manchmal habe ich denn auch Zweifel, ob das Leben überhaupt zu verbessern ist. Sind überwältigend manchmal, all die Eindrücke.

Also rauchte ich weiter, und dachte an meinen Yogameister, der sich vermutlich im Grab umdrehen würde, wenn er wüsste, wie ich mich auf die Yogastunde vorbereite. Doch bestimmt würde er es einfach ignorieren, und sagen: "atme, bewege dich im Einklang mit der Atmung”. Es spielt auch keine Rolle, ob ich ihm nun kurz zuvor gesagt hatte, dass ich etwas Angst davor hätte, auch bald einen Herzinfarkt zu erleiden, wie mein Bruder. Das gefällt mir sehr, dass er das - irgendwie - ignoriert. Auch als er mich später fragte, ob ich nun zum Arzt gegangen wäre? Nein, das war ich nicht, denn ich habe mehr Angst davor, dass ich mich dann erst recht auf diesen Infarkt einschiessen und er deshalb gleich unvermeidbar würde.

Ich gebe ja zu, dass es nicht einfach ist, mein Denken und Fühlen zu verstehen. Ich verstehe es ja auch nicht, weiss nur, dass es das einzige ist, was mir zur Verfügung steht, wenigstens bis es anders ist. Doch es will einfach nicht anders werden. Auch wenn ich ja in der Medizin viel Vorstellungskraft am Werke sehe, so fehlt mir dieselbe doch auch wieder sehr. Immer mehr Medikamente und Maschinen, das gefällt mir einfach nicht. Ich denke eben einfach, auch visuell, gefühlsmässig, man könnte fast sagen "ganzheitlich". Dieses Bild von Mensch gefangen in industrieller Eigendynamik, das gefällt mir nicht. Es geht mitten durch meine Seele, ich kann es sehen.

Wie jeden morgen gegen 8, folgte ich dem Ruf von Doña Carmen zum Frühstück. Wie so oft Mosh, mit Zucker und Zimt bestreut, um den Brei zu versüssen, und mit Früchten. Und einen Frenchtoast, diesmal mit Pfirsich-Konfitüre. Doch zuviel süsse Konfitüre, bitte weniger! Denn ich möchte nicht gleich zum Diabetiker werden, es gibt genug davon hier, und noch mehr wäre dann doch einfach langweilig. Gleichgewicht. Ausgewogene Atmung und Bewegung. Auch im Zuckerhaushalt.

Und noch einen Kaffee, und eine Zigarette. Duschen, mich vorbereiten. Und nochmals eine Selbstgedrehte. Doch nun reichts, die letzte halbe Stunde nur noch an der Sonne sitzen, vielleicht noch eine Musik hören (te amaré), und atmen. Nun endlich.

Ich war bereit, um meinem Yogameister unter die Augen zu treten, die Zähne geputzt, damit er den Rauch nicht ertragen muss, und auf dumme Gedanken kommen könnte. Er redet ja bereits genug, auch wenn es mir manchmal erscheint, als würde er immer grad das Richtige sage, auch wenn es mich immer noch wieder mal ärgert, dass er immer dasselbe sagt. Doch ich mache ja auch nichts anderes. Er fragte, "hast du regelmässig praktiziert?" , ich "ja, so ziemlich". Also weiter im synchronisieren von Atmung und Bewegung, Ungeduld und Enthusiasmus.

Anderthalb Stunden intensivstes Yoga - für mich - und die Erfahrung, dass ich trotz Rauchen, weiter meine Atmung im Gleichklang mit meinen Bewegungen vertiefen kann. Die Schmerzen immer weniger nur als Grenzen spüre, sondern als Raum, der zu erkunden ist. Unglaublich. Gleich zum Schluss sagte er, “90 Minuten, und wir haben nichts gemacht!” Aufgewärmt im besten Fall. Nein, du kannst mich nicht ärgern, “ich bin glücklich”, sagte ich, und meinte es. Und lachte. Wirklich, ich war sehr glücklich über meine “Bemühungen” und auch seine "enge" Begleitung, auch wenn er - ganz stimmig - mit meiner Arbeit nicht zufrieden war.

Er ist keiner, der einem auf die Schultern klopft, wenigstens nicht mit Worten, auch wenn er sehr liebevoll sein kann, vermutlich ohne es zu merken, denn dann könnte sein Rambo-Image bröckeln, und das würde erst noch schwierig werden, denn seiner Meinung nach ist er ja keiner, obwohl man es ja durchaus so sehen kann, dass - wie eine seiner Schülerinnen gesagt haben soll - seine Kleidung, seine Haltung, seine Pferdeschwanz, seine manchmal harrschen Anweisungen, ja alles, ganz den Rambo ausstrahlen würde. Passt. Doch sehe ich auch, dass er eben kein Rambo ist. Vielleicht ein Spiegel, doch da wird's ja gleich kompliziert, äh, komplex. Yoga ist Leben. Dass er seine Lieblingskeckse (aus New York eingeflogen…) mit mir teilt, das schätze ich sehr. Bin ein einfaches Gemüt.

Nach unserem bereits traditionellen Klatsch im Patio an der Sonne, trat ich also angeregt, ja selbstzufrieden, auf die Strasse, lief an der Tienda vorbei, und überlegte mir, ob ich schnelle, vorfabrizierte Zigis kaufen solle, mit Filter, etwas gesünder (wenigstens für mich "selber"), und... ich liess es bleiben. Meine Selbstgedrehten reichen. Auch weil sie ungefiltert sind. Leben ohne Filter. Das gefällt mir. Auch wenn das mit meinem Leben oft wenig zu tun hat, bin ja ständig am filtern. Doch die Filterresten bleiben bei mir, und kommen nicht in den Abfall. Bin da ganz kategorisch. Genau so wie mein Meister. Oder heisst das dogmatisch? Was war das schon wieder?

Doch welche Freude! Rund um das Yoga “gelingt” es mir manchmal, Stunden lang nicht zu rauchen, und mich einer offenen Lunge zu erfreuen. Noch am Morgen hatte ich viel geraucht, und jetzt war ich Nichtraucher. Welch ein Genuss. Doch die Idee, dass ich jetzt nur noch Tee trinken und Atemübungen machen würde, die gefiel mir nicht, also musste ich wieder rauchen, obwohl ich ja kein Raucher, sondern eben nur ein rauchender Yogi bin. Daran gibt es nichts zu rütteln, es ist ja meine Geschichte.

Ich rauchte also wieder, doch wiederum auch für Stunden nicht. Vor lauter Sauerstoff wurde es mir dann jedoch fast schwindlig, wie ein Rausch, und bald schon fürchtete ich, dass sich jetzt unter diesem Rausch im Geheimen ein Herzinfarkt anschleichen könnte, den ich eben hätte erkennen können, wenn ich zum Arzt gegangen wäre. Doch auch diese Gedanken gehen vorüber, wie so viele. So begann ich mich dann langsam auf den Ausgang mit Vivian vorzubereiten, ich freute mich, auf den Himmel der Casa del Prado.


Himmelsleiter in der Casa del Prado

Doch dann kam eben der Regen. Ja heftig. Doch immer noch dachte ich, der geht gleich vorüber, was ja dann auch geschah, doch eben erst später. Der Regen wurde zwar schnell wieder schwächer, und wir vereinbarten, in 20 Minuten zu entscheiden, ob und wo und wie wir uns zum Abendessen treffen würden. Doch gleich wurde er wieder heftiger, und noch heftiger, bis die Tropfen nicht mehr zu unterscheiden waren, und der Patio sich mit Wasser füllte, und das Dach an vielen Orten undichte Stellen zu zeigen begann.

So in meinem Badezimmer, im Schlafzimmer, aber auch in der Küche, im Esszimmer, und das Häuschen von Maripaz wurde geflutet, durch die Rohre der Stromleitungen. Kübel überall, und Frottiertücher, die ich nicht fürs Bodenwischen hätte verwenden werden dürfen, denn Doña Carmen hatte die neu gekauft, für mein Zimmer, ja noch bevor ich nach Xela gekommen war. Doch die könne man ja waschen. Doch trotzdem. Ja, es gibt so vieles, das ich nicht machen sollte, und trotzdem mache. Meine Muskeln sind also immer noch recht verspannt. Meine Beweglichkeit, Synchronisation zwischen Bewegung und Atmung also noch nicht vollkommen. Viel gibt es zu lernen. Welche Freude. Und lachen und weinen helfen dabei auch. Und lieben, obwohl ich es ja nicht kann.


Regen- und Hagelsturm, mit andererorts grossen Überschwemmungen. Chaos in der Nacht.

Nachdem der Regen etwas nachgelassen hatte, und ich im Zimmer und im Haus die Flut und Wasser im Griff sah, entschieden Vivi und ich, uns nun doch zu treffen, doch nun im Restaurant, das näher und zwischen ihrem und meinem Haus liegt. Ajitz heisst es. So liefen wir gleichzeitig los, um uns da zu treffen. Ich wie immer pünktlich. Trotz Wetter. Bin ja gewohnt, über Stock und Stein, durch Bäche und Schlamminseln hindurch zu manövrieren. Darum habe ich ja Berge bestiegen und tanze. Für was denn sonst. Doch es war dunkel, und als ich zum Restaurant kam, war auch dieses ohne Licht und geschlossen. Das sah ich schon, als ich näher kam. Ich schrieb Vivi “Ajitz ist geschlossen”. Und sie sagte, "warte da". Da war ich bereits in ihrer Richtung weitergelaufen, doch angesichts des Stromausfalls, von Schlamm und Wasser, und der Dunkelheit, machte es Sinn, an einem bekannten Ort uns zu treffen.

Zudem war ich auch etwas angeschlagen, denn als ich kurz zuvor beim Ajitz eingetroffen war, und die zwei mir bekannten Tritte vom Gehsteig hinunter zum Eingang machte, trat mein Fuss ins Leere, und ich stürzte, in einen Schacht. Der Schacht war einfach offen, im Dunkeln verborgen, der Deckel lag daneben - das sah ich nachher - und ich mit einem Bein bis fast zu den Hüften in diesen Schacht gefallen. Soweit man bei einem Bein von Fallen sprechen kann, da hätte ich ja gleich hinterher fallen müssen, doch das ging ja so nicht. Mein Knie vermutlich geschürft, und - das merke ich erst später - auch die Finger meiner linken Hand bluteten, mit der ich mich aufgefangen hatte. Wir trafen uns nicht mehr an diesem Abend, zu gefährlich. Eigenartig, wie wir Menschen uns Sorgen machen, aufgewacht von der Gefahr, die grad vorüber ist.

So war ich also, anstatt im Himmelbett des Pavillon der Casa del Prado, in einem Loch vor dem Ajitz gelandet. Yoga pur. Leben ist Yoga. Abenteuer sind gefährlich. Doch  "gefährliche Abenteuer” ist ja ein Pleonasmus. Abenteuer, ohne den Duft der Gefahr, ist eben schlicht kein Abenteuer, im besten Falle etwas abenteuerlich.

Ich rauche noch immer, wenigstens gleich jetzt. Auch wenn ich eigentlich nur ein Yogi bin.

PS: als er sagte “wir hätten in diesen 90 Minuten nichts gemacht", da fühlte ich mich, als wären wir auf den Zindelspitz, dann weiter über den Rossalpelispitz bis auf den Brünnelistock hinaufgestiegen, und hätten da, ich ermüdet und stolz zufrieden, tief aufgeatmet, und er sagen würde, in dieser Zeit hätten wir den König der Himalayas bestiegen. Doch ich würde die Aussicht geniessen, vielleicht auch die darauf, auch den König mal zu besteigen. Berge sind ja manchmal leicht zu verwechseln.

PS2: vielleicht gelingt es mir, nicht mehr rauchen zu “müssen”, doch werde ich dazu wohl eine neue Geschichte zum “Tee trinken und ruhig durchatmen” (er)finden müssen. Gut Ding will Weile haben.

Lied: “Vivir lo nuestro” (Wachtraum...), von Marc Anthony.

1 Kommentar

Noldi, 25. Mai 2021

Wunderbarer Text, verspielt und tiefsinnig zugleich😊🦋

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