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Eine kleine Raucher-Geschichte 

27. Dezember 2020, Jürg Messmer

Die zweitletzte Zigarette in meiner Schachtel, und das bereits um 10 Uhr morgens! Schon atemlos alleine beim Gedanken. Ein Spaziergang ist angesagt, Rauchen bewegt ja so manche.

Also habe ich meine letzten Quetzalitos zusammengekratzt, da ich ja aus komplexen Gründen im Moment nicht so flüssig bin, und Vivi, meine "Cajera de amor", nicht bei mir ist. 25 Quetzales! Gottseidank, genug um wenigstens eine Schachtel Rubios Rojos - für 21Q - zu beschaffen. "Solo para Ganadores", Nur für Sieger! Das passt. Erstaunlicherweise glimmen die länger als die unsrigen Vorfabrizierten, fast so lang wie meine Selbstgedrehten.

Ich setzte also meine Maske auf, will ja weder meine Hauschefin Doña Carmen noch andere in Aufregung versetzen, und auch ganz rational und weise, weil rückversichert, mich selber gleich mit schützen! Und verliess den Schutz des gesicherten Zuhause, um mich auf den Weg zur nahen Tankstelle zu machen. Eine der üblichen, modernen und halt etwas hässlichen Infrastrukturen, die ich jedoch in übermütigen Zeiten gar schon als "Gasolinera de Amor" bezeichnet hatte, vermutlich schlicht und einfach, weil die Bedienung sehr nett ist, und immer noch ganz verlässlich auch Produkte für arme süchtige Sünder anbietet; wie eben ich, einer der hoffentlich nie ganz aussterbenden, obwohl bald seltenen, Gattung. Especia Rara.

Der Laden war voll, und alle versuchten, den nötigen Abstand zu halten. So suchte ich meinen Weg durch die Menschenmenge, und lief den weiten Weg um manche Gestelle herum, um mich sorgfältig ans Ende der Schlange der sicheren Geduld zu stellen. Selbst ein Gang zur Tankstelle wird so zu einem Abenteuer. Und es ging schneller als erwartet. Doch dann öffnete sich die Ladentür, der Neue schaute mich kurz an, und drängte sich schwupps gleich listig sich im Recht wissend vor mich hin, und das so kurz vor dem Ziel, und ich denkend, dass er wohl denke, dass ich ein zu missachtender Gringo sei. Und ich murrte, ein klein bisschen, alte Gewohnheit! Doch still, gefasst, mein Schicksal akzeptierend, und gar ohne weiter darüber nachzudenken. Lohnt ja nicht!

Bereits war der Reingedrängte an der Theke, erfreut, gleich so schnell und einfach an die Reihe zu kommen. Doch da winkte der Ladenangestellte mir zu, über dem Kopf des anderen, um dem klar zu machen, dass ja bereits vor ihm einer da in der Schlange gestanden hatte. Ja, er war sehr aufmerksam! Wie viele hier! Zudem hatte er mich gleich wieder freudig erkannt, weil wir uns im letzten Jahr ja oft begegnet waren, und oft zusammen gewitzelt hatten. Auch weil er mir meine gewünschten, beglaubigt ungesunden, Zigaretten als "Vitaminas" bezeichnet und sie somit gleich auch wesentlich gesünder gemacht hatte. So ist es. Welche Freude. Und auch kein Grund, den Drängling gleich etwas niederzumachen. Ich lächelte ihm freundlich zu, und bedankte mich fast schon etwas beschämt ob meinem Privileg dafür, dass er mir ohne zu zögern, wenn auch etwas verwundert, und ohne Aufhebens Platz gemacht hatte.

Wir plauderten ein wenig in vertrauter Erinnerung und ich zog spontan kurz die Maske runter, um ihm auch das ganze Gesicht zu zeigen, auch wenn er es ja bereits erkannt hatte. Wir beide lachten. Er gab mir meine Vitaminas, und ich bezahlte die 21 Quetzalitos - knapp drei Franken - und verabschiedete mich herzlich, beim geliebten Verkäufer, und auch beim bereits geschätzten Drängling. Und sie ihrerseits taten dasselbe. Welch ein Wunder, was für eine einfache Geschichte, und so voller Überraschungen.

Ja, in Guatemala habe ich immer vieles gelernt, entdeckte und entdecke immer wieder aufs Neue! Ja, so manches, was ich sicher auch schon lange in der Schweiz hätte entdecken und lernen können, doch manchmal müssen wir halt in die Fremde gehen, um uns selber zu erkennen, und die anderen, und auch die Herkunft wieder mehr schätzen zu wissen. Und auch Rüppel braucht es manchmal, die uns helfen, neue Wege zu entdecken. Und vielleicht hilft Guatemala ja auch, dass mich einige in der Heimat auch wieder etwas neu kennen lernen.

Kann ich nur empfehlen, ich meine die Reise. Doch bitte nur gut vorbereitet, und auch mit dem Willen, etwas das lokale Leben kennenzulernen, und nicht uns einfach durch gemütlich vertraute Vorurteile führen zu lassen. Sich etwas Zeit lassen, damit CO2 nicht nur zu Gift und Belastung wird, sondern sich auch in neue Werte verwandelt. Das ist die einzige Form von Mehrwert, die ich wirklich kenne :-)

Jorgito (Jürg), Casa Doña Carmen, Xela, Guatemala, nur zwei Ecken entfernt von meiner Gasolinera.

PS: Song. Love it! Passt perfekt. "The Great Pretender", wunderbar gesungen von The Platters, in den Fünfzigern.

Die Geschichte hinter meiner Wahl: Wir genossen ein wunderbares "Almuerzo", mit Tacos, Bier und Wein, begleitet von vielen Geschichten, und Freude und Gelächter, hier im Patio "meines" Hauses in Xela. Während dem die "chicas" Maripaz und Mariángeles unter weiser Führung von Mutter Doña Carmen - wie immer - das schmackhafte Essen vorbereiteten, liess Don Gustavo die Besten 25 Lieder der Sechziger laufen, und zwar laut. Super! Reine Freude, sentimental und wunderbar romantisch. Erinnerungen an die good old times. Und an Amerika, wie wir dieses Land damals noch ruften, bevor wir es später - etwas präziser - die Vereinigten Staaten, die USA, nannten, weil es ja nur eines - wenn auch grosses - von vielen Ländern der "Las Américas", eben von Amerika, ist.

Gerne würde ich dieses Lied diesem Amerika widmen, und ich nehme an, wir alle wünschen diesem Land und seinen Bewohnern a very Happy New Year 2021, mit vielen wunderbaren Überraschungen, in mitten einer grossen weiten Welt, die euch wieder warm willkommen heisst!


Don Gustavo, Doña Carmen, Enkel Andrés, seine Mutter Maripaz, Schwester Maria de los Ángeles. Die Hündchen grad nicht in Sichtweite.

2 Kommentare

Noldi, 28. Dezember 2020

Welch liebenswürdige, vielschichtige hnd farbenfrohe Geschichte! Ich liebe sie! Mehr davon❤️

Alexandre Keuchenius Schneebeli, 9. Juli 2021

Immer wieder toll, lieber Jorge, Dich zu lesen. Freue mich auf mehr. Lieber Gruss aus Bern, natürlich auch - unbekannterweise - an Deine wunderbare guatemaltekische Familie. Alexandre

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