Rückblick 2020 - Beste Momente
2. Januar 2021, Jürg Messmer
Heute morgen hat ein Freund in einer Chatgruppe ein Video geteilt, das mit Click auf Pfeil einen witzigen Clip über “Beste Augenblicke von 2020” versprach. Ich klickte auf “Play”! ... doch da lief nichts. Aber gar nichts.
Mehrmals klickte ich, bald schon verärgert, ob einem Video, das wieder mal nicht richtig geladen wurde. Ich hatte letztlich ja einige Probleme mit meinen Kanälen, vor allem den Verbindungen, und war nicht wirklich erstaunt, doch eben trotzdem gleich etwas schlecht gelaunt. Doch dann ging mir - wie üblich etwas verspätet - ein Licht auf, und ich wusste: Ah, da gibt es scheinbar nichts zu erzählen. Witzig! Lustig? Ja, vermutlich. Doch eher auch traurig. Auf jeden Fall hat dieser kleine Stolperstein mich inspiriert, diesen Text zu schreiben.
Es betrübte mich nämlich, dass da niemand an diesem vergangenen Jahr etwas Positives sehen könnte. Was natürlich kaum der Fall ist, denn jeder macht ja seine eigenen Erfahrungen. Vielleicht haben ja manche einfach Angst, von einem positiven Jahr zu sprechen, weil die Freude "Gott sei dank keine Umarmungen mehr!" ja nicht von allen geteilt wird, und auch der nun gar gefährliche gegenteilige Wunsch ja bewirken könnte, als sorglos und unverantwortlich zu gelten.
Doch vermutlich wird es ja immer schwieriger, auf dieser verteilten Welt noch eine Nische zu finden, um geistig zu überleben, denn manchmal scheint mir, dass die Welt der Gedanken genau so überfischt ist wie die Weltmeere.
Mehr und mehr scheint mir da nur noch Schrott zu finden zu sein, Abfälle, Nebenprodukte von effizient industriell produzierten und schnell verbreiteten Gedanken. Selbst das allgemeine, in Form von Statistiken geteilte, Gedankengut wird ja nur noch in grossen Fabriken hergestellt, produziert in widerspruchs-bereinigten Reinräumen. Effiziente, kostengünstige Produktion, und ohne grosse Chancen, dass man daneben noch eigene Produkte vertreiben könnte. Wenigstens nicht in den Haupteinkaufstrassen, in die sich alle immer wieder zu drängen scheinen.
Also: Nischen sind gesucht! Doch solche muss vermutlich jeder selber finden. Wenn es denn diese “Selber” noch gibt. Ich jedoch habe mich von den grossen öden Haupt-, den Einkaufsstrassen und Vergnügungs-Zentren verabschiedet, an die kleine Ecke mit den schmalen und hoprigen Strässchen, wo die Leute noch einfach laufen, und halt manchmal stolpern, und so ab und zu auch unverhofft noch die Eine oder der Andere sich in meinen kleinen Laden verirrt. Das klappt bisher ganz gut. Doch wie lange wird das wohl noch gehen, bis auch mein kleines Quartier mehrheitsgerecht aufgewertet wird, so dass auch hier niemand mehr in meinen Laden kommt, weil nicht stolpert; und bis auch hier die frohe Botschaft des ungetrübten Fortschritts ihre wohltuende und offensichtlich attraktive Wirkung zeigt?
Doch hier mein positiver Rückblick auf das Jahr 2020
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Abschied und Rückbau meines inzwischen zu gross gewordenen Ladens, der nicht mehr so gut lief, weil mir die Marketingunterstützung fehlte. Musste ja immer alles selber machen, so dachte ich wenigstens. Ja, das war mit Tränen verbunden, mit Schmerzen, doch auch mit einer Finissage, die sich sehen, oder fühlen, lassen konnte. Voller Freuden und Tränen. Und in jenen habe ich immer die Hoffnung gesucht, und sie reichlich gefunden.
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Zügelvorbereitungen: Die Reservierung eines Transportvelos für mein karges Übriggebleibsel war anspruchsvoll, denn alle mussten ja idiotensicher produziert werden, es gab also Lieferengpässe, und selbst wenn geliefert, mussten sie allerorts erst noch gründlich gereinigt werden, also Stau auf allen Hauptachsen! So entschied ich mich, zu Fuss zu gehen, und fand - wie immer - einen Weg. Wenn auch langsam, so doch sicher.
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Doch auch zu Fuss war es nicht einfach, so musste ich auf meinem Weg ins Aussenquartier aus mir nicht ganz klaren Gründen lange an einem Ort verweilen, was sich jedoch als unerwartetes Geschenk erwies. Ein ungeplanter klösterlicher Aufenthalt brachte mir reiche Fischgründe, abseits der grossen Fischnetze. Welch ein Schmaus. Ja, die Fische waren vermutlich etwas kleiner, doch reich an Geschmack und Vitaminen, und wann immer ich dankbar einen ass, kamen gleich wieder neue, die sich mir fröhlich anboten. Da war es ja fast schon schwierig, unter dem reichen Angebot auszuwählen. Doch auch das löste sich von selbst; wenn immer ich Hunger hatte, öffnete sich mein Mund, und Schwupps sprang eine abenteuerliche Malzeit in meinen Schlund. Und so manchmal dachte ich: wie oft hatte ich es schon erwogen, mich in ein Kloster zurückzuziehen, oder einen Pilgerweg unter die Füsse zu nehmen. Und nun hatte es überraschend einfach geklappt.
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Manchmal ist es auch erforderlich, ein Paradies wieder zu verlassen, denn im "Trockenen" Gelerntes will ja auch im "realen" Leben, im grossen Teich, wieder angewandt werden. Also schwimmen. Und auch: Versprochen ist versprochen. Ich konnte also nicht bleiben. Diese Haltung ist natürlich etwas unflexibel, und verspricht nicht immer das Beste vom Besten, doch ist es nun mal die Beste meiner Haltungen, damit bin ich bisher gut gefahren, und habe überraschend viele gute Erfahrungen gemacht. So habe ich mich vielleicht nicht in den angesagtesten Palästen verköstigt, doch wiederum so manche willkommene Überraschung erlebt. Selbst Geschmacksnerven lassen sich ja gerne überraschen, doch nur wenn sie im Gehirn noch Platz finden, um das Geschmeckte in seinem ganzen Reichtum immer wieder frisch zu entdecken.
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Ja, das Gehirn! Wie mir dieser Gedanke gekommen ist, weiss ich nicht mehr so genau. Einerseits sicher dank der Forschung, der Anerkannten, in deren Schatten sich die Idee Platz verschafft hat, dass sich das Gehirn nicht nur im Appendix mit Aussicht findet, sondern sich überall, im Magen, im Darm, im Herzen, und bis in die Fingerspitzen, sich ja ausbreitet. Und das schneller als jeder noch so virulente Virus. So ist mir auf einmal diese Erkenntnis gekommen: es erschien mir gar, als ob sich das Gehirn nicht nur nach innen ausbreitet, sondern auch da draussen so manche Verbindungen zu erkennen sind, die jedoch nicht in Zahlen von 2 bis 5G zu erfassen sind. Das war eine grosse und schöne Überraschung.
Leider wusste ich gleich, dass ich diese Erkenntnis jedoch nicht gleich als neues Produkt verkaufen könnte, denn es handelt sich offenbar um eine delikate Frischware, die gelagert und schön verpackt ja vielleicht noch lange gut aussehen mag, deren Inhalt jedoch schnell verrottet, wenn er lange gelagert wird. Kurzfristig wäre so ein Produkt zwar gut zu verkaufen, zum Beispiel in einem Pop-up-Laden, doch ich bin ja seit jeher auf eine langfristige Kundenbezieung bedacht, und eine Bindung, die nicht gleich trockene Verpflichtung, Trübsal und Langeweile um sich schart. Denn ich bleibe dabei, auch langfristige Beziehungen müssen ja nicht gleich langweilig sein. Vor allem bin ich offen, in welcher Währung bezahlt wird, oder ich einfach tausche. Und wenn halt mal jemand nicht bezahlt oder bezahlen kann, dann habe ich ja die Erfahrung gemacht, dass plötzlich und ganz unerwartet ein Onkel hereinschneit, um eine offene, gar abgeschriebene, Rechnung zu begleichen, und wenn es nur damit ist, dass wir meinen Schnaps trinken und einen Moment lang herzlich zusammen lachen. Ja, auch mit den Währungen und den Wechselkursen ist es so eine Sache, aber - keine Bang - nur in den heruntergekommenen Seitengassen.
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Vielleicht das Beste von 2020: unter grossen Vorsichtsvorkehrungen waren unbedarft herzliche und spontane Umarmungen immer noch möglich. Dank geistiger Nischen. Und auch mein Lieblingsbegegnungsort mit dem Namen "Salsa Rosa" war immer offen, auch wenn die Angebote da zwar "bescheiden", doch irgendwie sehr gehaltreich sind :-)
Mindesten ich habe also manch Schönes erlebt, in diesem vergangenen und so eigenartigen Jahr 2020. Ich hoffe, ich muss das nicht bereuen, dass ich das hier so offen sage.
Und die Liebe, in 2020?
Von der weiss ich auch nach diesem lehrreichen Jahr noch immer nicht allzu viel. Doch manchmal war es mir fast so erschienen, als würde die Liebe mir nur so um die Ohren fliegen! Doch irgendwie bin ich ganz froh, noch nicht alles so genau zu wissen, denn ich lasse mich gerne überraschen. Ja, ich bin bereit für dich, 2021.
Uups, das hat ja bereits begonnen!
Also: Danke 2020, du hast mich gut behandelt! Auch dass du jetzt gegangen bist und wieder Platz für Neues geschaffen hast, schätze ich sehr. Doch wirst du auch neu und frisch sein? Oder werden die Hauptstrassen der Gedanken sich weiterhin noch mehr verstopfen? Na ja, aus meiner Erfahrung findet man immer eine Nische. Doch von “man” zu sprechen, das mag ich ja selber nicht. Diese “Man”-Strasse der allgemeinen Erkenntnis erinnert mich zu sehr an die Marketingstrategie der grossen Geschäfte. Und das weiss ich, da finde ich keine Nische.
Wunsch 2021: Auch dir, meine geschätzte Leserin, mein geschätzter Leser - vielleicht ja "selber" ein manchmal stolpernder Mensch - wünsche ich ein gutes und frisches 2021, voller reicher Fischgründe, und hoffe, dass auch du einen guten Grund findest, ohne ihn gleich für dich pachten zu wollen! Komischerweise denke ich noch immer, dass wenn geteilt, immer genügend Platz vorhanden ist und sein wird. Doch teilen ist zugegebenermassen nicht einfach, selbst zu verstehen, was teilen denn ist. Doch einen Versuch ist es allemal - immer wieder - wert! Es guets 2021!
Song: Warum nicht ein "Neuanfang"?, von Clueso
PS: Grad ist hier das Wasser ausgefallen. Stadtweit. Für einmal zum Glück gibts hier in jedem Haushalt einen grossen Plastik-Wasserbehälter mit "agua purificada", das "Salvavida" heisst. Und auch die unverhoffte Gelegenheit, den Mangel wenigstens teilweise mit einer ¡Cervicita, bien fría! 🍺 zu ersetzen. Gracias a Dios.
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