Auf terrestrischen Empfang geschaltet
9. Dezember 2020, Jürg Messmer
Nach beinahe 24 Stunden Flugreise, mit allen deren Tücken, bin ich wieder sicher gelandet, im Haus von Gilda in Guatemala City. Ich bin froh, dass sie mich abgeholt hat. Seit 15 Jahren kennen wir uns, ich bin mit ihr vertraut, und sie ist für mich sowas wie eine Brücke zwischen der alten und der neuen Welt. Und wie immer beginnt sie mich gleich zu necken, mit treffenden Sprüchen!
Zum Glück war ich frühzeitig im Taxi am Flughafen Schiphol, den mir Csilla empfohlen und reserviert hatte, und checkte gleich ein. Erst am Check-In-Schalter machte mich die KLM-Mitarbeiterin darauf aufmerksam, dass ich ja das Online-Gesundheitsformular der Guatemaltekischen Migrationsbehörde hätte ausfüllen müssen. Kein Wunder hatte ich das vergessen, einfach eines dieser Formulare, die auszufüllen sind. Dachte ich. Doch das auf dem Mobil zu machen, ist so eine Sache. Natürlich musste ich zur Seite treten und hoffte, dass ich das schaffen würde. Onlineformulare und deren Tücken versetzen mich immer gleich in Angstzustände! Gefühlte 100 Fragen, alles mit Infos, die ich nicht auswendig wusste, also von meinen Daten, anderen Apps kopieren musste, und bei manchen mich auch fragte, was ich jetzt da genau eintragen muss.
Zum Beispiel die Frage nach der Art des Aufenthalts: “Tourismus”, oder Studium, oder gar “Residenz”? Selbst eine Notfall-Nummer musste ich angeben, für den Fall, dass das Flugzeug abstürzt, oder entführt wird, oder sowas, und da die Frage, wen ich jetzt da eintragen soll. Ich dachte an meinen grossen Bruder, und trug seine Nummer ein. Und schickte das Formular ab. Doch es gab ein Fehler, wie befürchtet: geben Sie die Nummer ein, obwohl da seine Nummer ja klar und deutlich stand. Grosses Fragezeichen!
Also dachte ich, vielleicht muss es ja eine lokale, eine guatemaltekische Nummer sein. Die von Doña Carmen, meiner “Hausmutter" in Xela? Nein, sie weiss nicht so recht Bescheid. Gilda? Ja, sie würde einen Notfall sicher gut managen, ist mit allen Wassern gewaschen. Doch hat sie nicht alle meine Kontakte. Also klar Vivian, sie kennt mich am besten und hat auch die Nummer meiner Brüder. Also trug ich ihre Mobilnummer ein, ohne sie gefragt zu haben, mit guatemaltekischem Ländercode und ihrer lokalen Nummer. Doch wieder erkannte das Formular einen Fehler, der zuerst behoben werden musste. Schweissausbrüche, Verzweiflung pur! Bereits war es kurz vor der Boarding-Zeit, und ich hatte noch nicht einmal meine letzte Zigarette geraucht. Notfall pur, dieser Eintrag der Notfallnummer. Typisch. Sicherheit, und gleich wird es unsicher!
Verzweifelt drängte ich mich wieder an einen freien Schalter, das hatte sie mir vorher ausdrücklich erlaubt, und erklärte mein Problem. Beide Angestellte waren etwas ratlos, und ich fragte verzweifelt, ob sie wüssten, wo ich dazu Hilfe bekommen könnte! Da nahm die eine mein Handy zur Hand und schaute es an. Und kurzerhand fügte sie einen Bindestrich an das Ende der Telefonnummer, und Schwups! Das Formular war abgesandt, ohne dass sie es gleich hatte absenden wollen. Doch der Bildschirm schaltete auf “Grün", zeigte die wichtigsten Daten zusammengefasst, mit QR-Code zur Bestätigung. Machen Sie ein Bildschirmfoto, zur Sicherheit. Wo finde ich dieses schon wieder? Ach ja, unter “Fotos”. Ach Gott, diese Online-Formulare.
Und, ach Gott, fast schlimmer, meine Obrigkeitsgläubigkeit! Meine Angst, bei einer Lüge, oder beim Bescheissen ertappt zu werden, und dafür in der Hölle braten zu müssen. Zum Glück übernehmen das Bescheissen immer wieder Andere für mich, so kann ich meine Hände sauber halten, und den Weg mit trockenen Füssen weiter in dieser Welt beschreiten!
Ansonsten war die Reise sehr ruhig. Der Flug wie auf einem Geleise. Kein Rütteln, eine sanfte Landung. Aber lange, mehr als 11 Stunden bereits von Adam nach Panamá, und nicht wie erwartet oder fantasiereich von mir erträumt, alleine ohne Nachbar in der Economy-Komfortklasse. Einfach eingezwängt wie immer in wieder erlaubter Sozialer Un-Distanz. Doch weit vorne beim Ausgang, gleich hinter der Businessklasse! Mit Blick auf den Komfort dachte ich, warum hatte ich nicht meines Bruders Rat befolgt, mir den Komfort der Businessklasse zu leisten. Ganz einfach, ich hätte mich da nicht wohlgefühlt, mich ob meiner privilegierten Reisebedingungen geschämt. Sorry, dass ich Opfer solch komplizierter Bedingungen bin. Ja, Werner, wärst du dabei gewesen und hättest mich zu dieser Sünde gezwungen, dann hätte ich sie vielleicht sogar genossen. Aber ohne dich? Die Last zu gross für meine schwache Seele 🙂
Der Rest war, immer wieder: “PCR-Test” Resultat zeigen, und die "grüne" Gesundheitsformular-Bestätigung. Auf Lautsprecheransagen hören, meinen Namen rausfiltern, damit ich wieder meine Belege belegen kann. Und hoffen, dass mein Handy funktioniert, und ich diese zur Verfügung habe. Lautsprecherankündigungen, in etwas lokalem Spanisch, in Englisch und in Brasilianisch. Manchmal hektisch, manchmal langsam und deutlich. Und warten. Abstand halten. Kein Sitzen auf verbotenen Sitzgelegenheiten. Am Boden, auch gut. Doch mit der Frage, ob das Covid-19-Virus so vielleicht nicht gleich aus einem Mund oberhalb von mir auf mich runterspringen könnte. Und solche Sachen halt. Vielleicht könnt ihr es euch vorstellen.
Am Schluss noch das Zollformular, und das ohne Schreibzeug. Bin ja meist digital unterwegs, und kann kaum noch einen Kugelschreiber halten, nicht zu sprechen von einer Feder mit Tinte! Der Flugbegleiter lieh mir keinen (Covid!). Doch kurz vor der Passkontrolle schaffte es. Da gab es einen Tisch mit ein paar befestigten Kugelschreibern, mit einem der sogar funktionierte. Gerettet. Der Rest war Pflicht. Kein Problem. Sehr freundlich. Die Gepäckkontrolle erliessen sie mir, angesichts meiner wenigen kleinen Gepäckstücke.
In der Ankunftshalle, Taxifahrer, die sich anbieten. Nein, werde von Freundin abgeholt. Doch wo ist sie? Na ja, gehe erst mal eine rauchen, dann sehen wir weiter. Und draussen steht sie, ja es ist sie, nach kurzem Zögern wegen der Maske und von unerwartet mehr grau melierten Haaren. Ja, das ist sie. Leibhaftig. Angekommen. Sicher. Auch sie ein schnelles Jahr älter. Beide sind wir grauer geworden. Das Jahr hat Spuren hinterlassen. Bei ihr wenigstens keine “schlechten”. Die grau melierten Haare stehen ihr gut. Muy amable. Nein, keine Freundlichkeit, einfach das was ich sehe und denke!
Ein Problem war, dass ich noch kein Daten- oder Telefon-Package für Guatemala hatte und befürchtete, gleich in eine Lebenslange Schuldenfalle zu geraten. (“Hypochonder”!). Also Handy anschalten. Sim-Karte nicht aktivieren. Flugmodus einstellen, und dann erst Sim-Karten-Code eingeben. Irgendwie ging das. So konnte ich erstaunlicherweise trotzdem Netz suchen, und mich einloggen. Flugmodus ausschalten. Bei Gilda zuhause war ich zum Glück schon angemeldet, vom letzten Mal, mit meinem Handy. Perfekt.
Gilda, hast du ein Bier? Ja, klar, helles Cabro oder dunkles Moza? ¡Una Cabro, por favor! Muchas gracias. Gleich bringt sie auch noch den Aschenbecher. Zum Bänkli im Garten. Und auch Gilda raucht eine Menthol-Zigarette, heute gekauft, zur Feier des Tages. Die letzte hatte sie vor ziemlich genau einem Jahr, auch dann mit mir, am gleichen Ort, sich noch zu Gemüte geführt. Gastfreundschaft pur, so die Sünde zu teilen!
Auf der Reise war ich oft angespannt, unsicher ob meinem Spanisch. Alle sprachen Spanisch, keine “Gringos" in Sicht. Ich der einzige Fremde. Ich hätte Spanisch sprechen können, doch hatte ich Angst, als fremder denunziert zu werden. Immer wieder diese Angst, nicht dazuzugehören. In Panamá, nein da fühlte ich mich gar nicht wohl. Zu viele Dialekte, schnell gesprochen, zu wenig Vertrautes, wenig vertraute Gesichtszüge. Angst davor, in welchem Land ich da bald landen werde, ob mir alles fremd sein würde.
Doch bereits beim Überfliegen von Guatemala City, und dann im Gebäude, fühlte ich mich gleich vertrauter. Andere Gesichter von Plakaten. Guatemalteken. Auch die vielen liebenswürdigen HelferInnen, die bereit standen, und uns den Weg wiesen. Ja, sie sind anders, die Guatemalteken, nicht einfach Lateinamerikaner, sie sind Chapines. Das Land des Lächelns, der Maya, wenn auch zu Zeiten von Covid-19. Masken überall. Oft kombiniert mit Visier. Rucksäcke desinfizieren vor dem Einladen in den Kofferraum. Mich auf den Rücksitz setzen und meine Füsse hochheben, damit Gilda auch diese mit Alkohol besprühen kann. Vorsichtsmassnahmen. Sicher sinnvoll angesichts eines nicht so ausgeklügelten Gesundheitswesen, über das wir sowohl in den Niederlanden als auch in der Schweiz verfügen. In Irland ist das schon eher fraglich. Ob zum Guten oder Schlechten, dass kann ich nie so recht beurteilen. Bin ja ein wandelndes Fragezeichen. Und neugierig, warum und wie Andere alles etwas anders machen.
Inzwischen ist auch die Weiterreise bis auf weiteres wieder klar. Am Donnerstag werde ich mit Bus nach Los Encuentros fahren, um da Vivian, Erika und Ana zu treffen, und für eine Nacht nach Panajachel an den Lago Atitlan zu fahren. Und dann weiter nach Xela. Alles läuft nach Plan, nur weiss ich noch nicht genau, was ich jetzt im Migrationsamt, auf der Botschaft und vielen weiteren offenen Fragen noch konkret machen werde oder machen muss. Fragen von Definitivem, Geld und Bankkonten, Krankenversicherung, Sicherheit. In unsicheren Zeiten. Als erstes werden wir das heute mit Gilda in Ruhe anschauen. Chillen. Und dann morgen Dienstag es anpacken. Tönt gut, nicht? Definitiv ein guter Plan.
Ich habe wieder eine Verbindung zur Erde, zur Tierra, aufgenommen. Das ist gut. Wieder einfache konkrete Schritte machen. Etwas, das ich kann!
Mit Gilda haben wir bereits einen Schlachtplan entworfen. Besuche beim Institut für Migration und der Schweizer Botschaft stehen an, Fragen rund um Krankenkasse sind abzuklären. Den Bus für Donnerstag buchen. Vor Komplikationen hat sie mich gewarnt, was nichts schadet, auch wenn ich inzwischen ja viel Erfahrung habe, auch mit Komplikationen. Sie ist am Telefonieren. Nimmt es in die Hand. Eine Frau, die Nägel mit Köpfen macht. Vielleicht weil sie auch alleinstehend ist. Und wir Alleinstehende stehen manchmal gerne zusammen. Das ist gut so.
Let’s walk the walk! Mit guatemaltekischer Erde unter den Füssen.
Passendes Lied: "Memories", One Voice Children's Choir
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Liste der Einträge
Ursula Rauch, 12. Dezember 2020
Schön zu lesen dass du gut gereist bist! Gutes Ankommen und wieder zuhause fühlen. U😘
Petra, 17. Januar 2021
Ja wie schön ist denn diese Bank so mitten im üppigen Grün. Herrlich. Good smoke. P