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Das Gelobte Land 

31. März 2020, Jürg Messmer

Immer wieder habe ich über das verflixte gelobte Land nachgedacht, das Versprochene, und es ist mir klar, dass im historischen Kontext dieses Land leicht an einem gewissen Fleck, im Nahen Osten, verortet werden konnte, von manchen ja noch immer wird. Eigenartig, wie die Perspektive sich wandeln kann, für mich vielleicht bald eher im Fernen Westen.

Aus meiner Sicht ist es natürlich die Erde, die die Gelobte ist, und die vom auserwählten Volk besiedelt worden ist: dem Menschen. Dass der Mensch auserwählt sein muss ist ja offensichtlich, schauen wir uns doch nur mal um und sehen, welchen Platz wir hier eingenommen haben. Alle haben wir mal ein Ticket erhalten und sind jetzt hier. Auch ich. Wir sind auserwählt! Doch für was?

Manchmal kommt mir die Erde wie ein beliebter Touristenort vor, der allerseits empfohlen worden ist und sich durch die zahlreichen Besucher natürlich verändert hat. Massiv, wie wir wissen. Doch scheint es, dass immer noch die alten Broschüren verwendet werden, um weitere Leute anzulocken. Die Realität hat ja inzwischen nichts mehr damit zu tun, wie sie mal ursprünglich beschrieben worden war, oder doch? Die Gerüchte halten sich auf jeden Fall hartnäckig. Das einmal bestimmte Image des Reiseziels hat sich offensichtlich bewährt. Eine wirklich starke Marke. Eigenartig, dass wir Reisenden uns so wenig Gedanken machen, und nicht wissen wollen, dass mit unserer Ankunft der ersehnte Ort gleich ein anderer wird – wir selber sind ja nun auch dort. Mit mir verändert sich alles. Mit jedem von uns wird der weisse Palmenstrand ein wenig kleiner, mehr bevölkert und verschmutzt, und der Flughafen etwas grösser, die Strassen dahin breiter. Die Kokosnüsse sind inzwischen auch durch uns vertraute Produkte, und die Krabben durch Fleisch, gar ein Fondue, oder eine köstlich vegane Spezialität ersetzt worden. Gott sei dank! Wir können uns zu Hause fühlen, und wenn wir wieder nach Hause kommen, das Bild des Reiseziels in unserer Erinnerung gleich wieder in den ursprünglich empfohlenen Zustand zurückversetzen. Das funktioniert offensichtlich.

Da sitzen wir nun, all diese Auserwählten, ja auch die Gestrandeten, und können nicht weiter. Wir schauen uns um und sehen: ein Albtraum, oder nicht? Vor allem jetzt für jene, die eigentlich nur einen Zwischenstop hier hatten machen wollen, auf dem Weg zu einem anderen erträumten Ziel. Jetzt müssen wir hinschauen, nicht einfach in der anonymen Transitbar ein Cüpli, oder ein Bier, trinken. Doch auch für uns, die wir hier leben und bleiben wollen, für jene, die diese Erde trotz allem immer noch das gelobte Land ist, ist es natürlich nicht einfach.

Ja, es ist eine vertrackte Lage. Wie gehen wir von da aus weiter? Soll die Erde weiterhin ein Hub bleiben, damit wir den Betrieb mit Gewinn weiterführen können, oder gibt es nun andere Überlegungen, die jetzt wichtiger sind? Oder könnten wir dank heutiger Technik den Flughafen nicht einfach auf den Mond verschieben? Für diejenigen, die ja gar nicht an unserer Erde interessiert sind, sondern andere Sehnsuchtsziele haben? Doch wie würden wir den Transit zwischen Mond und Erde denn gestalten? Mit Ruderbooten? Oder lassen wir die Leute einfach schwimmen? So dass nur die kommen, die es wirklich wollen und denen der Aufwand es wert ist? Weil wir es uns wert sind?

Wenn ich an Guatemala denke, das Land meiner Sehnsucht, wohin ich auswandern möchte – während dem ich hier in der Schweiz mich befinde und mein Leben ordne – dann zweifle ich manchmal daran, ob ich als Fremder, als Tourist, als Pensionierter in Guatemala überhaupt willkommen bin. Ja, mein Geld könnte helfen, doch: ein Tropfen auf dem heissen Stein! Und man kann es ja erst noch nicht fressen! Zudem ist es ja auch darum mein Sehnsuchtsland, weil dieses Land noch arm an Infrastrukturen ist, arm an Geld und reich an Hoffnung, an Träumen, und zum Glück mit einem schlechten Ruf (Guatemala), und weil ich auch hoffe, dass ich da einem allzu guten Gesundheitswesen entkommen kann.

Vielleicht muss ich jedoch hier bleiben, um mich mit meinem Geburtsland nochmals intensiver auseinander zu setzen. Und mich dem zu stellen, was ich mitverantwortet habe. Vielleicht kann ich diese Auseinandersetzung jedoch besser von Xela aus weiter vertiefen?! Auf die Frage, „was machst du jetzt, wo du nicht mehr reisen kannst, und alle Grenzen dicht sind?“ antworte ich immer, „es ist noch nicht aller Tage Abend, wir sehen es dann, wenn es so weit ist“. Ich weiss nur, dass es die eine gibt, und auch andere, die mich rufen. Werde ich den Rufen Folge leisten können?

Es ist kompliziert, doch für mich hat es sich immer gelohnt, über den Ort, an dem ich lebe und über meine Reise und meine Reiseziele nachzudenken. Und wer weiss, vielleicht habe ich das gelobte Land ja bereits gefunden. Du nicht?

PS: und vielleicht werde ich auch wieder nach Hause gehen, um eine dynamisch stabile Position zu halten, dahin wo wir alle herkommen :-)

Schlagwörter: Hoffnung

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