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Körper und Geist 

3. April 2020, Jürg Messmer

Zwei Worte, die uns Menschen begleiten, wenigstens jene die keine dringendere, konkretere Arbeit zu verrichten haben, wie jetzt die KrankenpflegerInnen, das Putzpersonal (machen wir das jetzt selber?), die VerkäuferInnen in den Lebensmittelläden und die ArbeiterInnen in der Logistik, die Bäuerinnen und Bauern natürlich, alle die sähen und pflanzen oder ernten; vielleicht auch die PolizistInnen - ja klar, auch sie - und jene, die immer noch die Strassen und Plätze putzen und unseren Abfall entsorgen.

Hoffentlich ist der Abfall sich bereits am verringern. Abgesehen von all den Gummihandschuhen, den Masken, den Desinfektionsmitteln, medizinischen Produkten und Spritzen, oder den Plexiglasscheiben. Das ist ja eh eine andere Geschichte, die hat hier keinen Platz. So oder so ist es doch erstaunlich, wie mannigfaltig Körper und Geist zusammenwirken, auch zu Zeiten, in denen der Virus zu regieren scheint. Ein Wunder.

Oft denke ich an meinen “Körper” und bin dankbar, dass er mir "zur Verfügung steht", es ist ein Wunder. Obwohl er ja manchmal zwickt und juckt, allerlei passiert was mich verunsichert. Bereits ein wenig am verrosten ist er auch, und der Motor kann asthmatisch schnaufen und keuchen, wenn ich zu schnell den Berg hinauf laufe. Das erinnert mich an meinen Grossvater, der in den Dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts sein Auto verkaufen wollte. Er schlug einem potentiellen Käufer vor, er solle doch die Anhöhe hochlaufen und zuschauen, wie leicht dieses Auto den Berg heraufkomme. Ein schlauer Grossvater, und erst noch Ingenieur.

Ja, das waren noch Zeiten, jene, als das Auto noch ein Abenteuer, das Hoffnung und Fortschritt bedeutete, und noch kein Albtraum war. Als es noch Mechaniker gab, die etwas von der Maschine verstanden, so wie jener Mechaniker des Pannendienstes vor Jahrzehnten, der – nachdem der fehlerhafte Zündverteiler vorher drei mal teuer ausgewechselt worden war – einfach an einem kleinen Rädchen, das den Funken zur rechten Zeit auszulöst, ein bisschen herum feilte, und prompt lief der Motor wieder einwandfrei, und zwar für “immer”. Ja, ich bin nostalgisch. Ich liebe selbst laute Auspuffrohre, wenn sie die Ausnahme sind, und jemandem wirklich Freude bereiten. Der Klang kann sogar in unseren Ohren sehr schön erklingen, wenn wir einsam und müde an der Strasse stehen und befürchten, nicht mehr nach Hause zu kommen. Sogar die Abgase stören mich manchmal kaum, wenn ich in Xela, Guatemala, die alten Busse sehe, die manchmal noch mit “School Bus” angeschrieben sind, vor sich hin prusten und stinken und schwarzen Rauch ausstossen. Diese Camionetas laufen fast ewig und werden oft direkt am Strassenrand repariert. Sprechen wir doch von Nachhaltigkeit, über die wir uns immer so streiten und die niemand so genau kennt.

Wenn ich an Körper denke, dann denke ich auch an Gesundheit, an Krankheit. Gott sei dank bin ich gesund, auch wenn so mancher Mediziner grosse Schäden an meinen Bestandteilen diagnostizieren könnte, stelle mir vor, was er finden würde, wenn er meine Lunge genau unter die Lupe nehmen, oder mein Gehirn nach Anzeichen von Demenz oder Alzheimer untersuchen würde. Ein Alptraum, vor allem die Vorstellung, dass ich ab dann immer beim Arzt ein- und ausgehen und Stammkunde der Apotheken werden müsste.

Gleichzeitig weiss ich natürlich genau, dass diese bescheidene Tätigkeit der passiven Teilnahme am Gesundheitswesen auch Arbeit für viele bedeutet, sicher auch interessante und erfüllende Arbeit. Ich kann mir gut vorstellen, dass wenn es zu wenig Ärzte und Heiler geben würde, ich diese Aufgabe gerne übernehmen würde. Doch bin ich von Haus auf mehr auf Recht, Gerechtigkeit und deren Zusammenwirken ausgerichtet und hoffe, dass ich in diesem weiten Feld auch eine heilende Wirkung erzielen kann. Doch das ist ja genau so schwierig wie wenn man versucht, sich im Dickicht von Gesundheit und Krankheit zurecht zu finden.

Doch mein Körper ist mir heilig. Ich vertraue ihm voll und ganz. Denn ich kann und will nicht zwischen meinem Körper und meinem Geist unterscheiden. Der Körper folgt meinem Geist und mein Geist dem Körper. Es ist als wären sie beide das gleiche. Und doch nicht. Wie geheimnisvoll ist doch dieser beider Zusammenwirken, das zwischen Geist und Körper. Auch das Zusammenwirken derjenigen, die sich vorwiegend aufs denken beschränken, und derer, die die konkrete Arbeit machen. Das Gehirn, die Nervenzellen, die Organe, Gefässe, Muskeln, Sehnen und Gelenke. Das Schöne ist, dass es heute langsam klar wird, dass da nichts von oben herab passiert, sondern auch von unten nach oben, ja vielleicht sogar gleichzeitig. Es würde kaum möglich sein herauszufinden, welche Kraft zuerst wirkt und welche dieser Ursache folgt. Doch es ist halt unsere einzige Möglichkeit, die Dinge zu betrachten und zu begreifen. Wir können nicht das Ganze sehen, sondern nur einen Schritt nach dem anderen machen, und den erst noch immer nur von da aus, wo wir grad stehen. Das ist natürlich ein Handycap, doch müssen und dürfen wir darauf vertrauen, dass Körper und Geist zusammen wirken, dass vielleicht die Hierarchien dazwischen flacher sind als wir dies meinen.

Vielleicht könnten wir dabei gleich auch die Wertschätzung von Arbeit und der sogenannten Ressourcen bedenken. Ist es nicht Ausdruck eines Ungleichgewichts, dass geistige und körperliche Arbeit so verschieden bewertet werden? Aber auch dass unsere ja flüchtige Existenz, unsere Arbeit, der jahrtausende alten, langsamen Arbeit der Natur so übergeordnet wird?

Entschuldige doch die Grenzen meiner Ausdruckskraft! Ich bin ja wahrscheinlich nur eine Hirnzelle. Vielleicht aber auch eine aufmüpfige Darmzelle, die sich wehrt, meine Aufgabe nicht in Ruhe machen zu können. Warum muss die Vernunft, der Kopf, denn immer alleine bestimmen, ob ich es richtig mache oder nicht? Warum kann man nicht einfach mal auf mich hören, auch meine Klagen? Warum nicht? Nicht vergessen: Klagen sind erst noch klimaneutral, wenigstens punkto Treibhausgase!

Ich weiss, ich drehe mich im Kreise. Doch liebe ich eben auch den Tanz der Derwische, dieses Drehen um sich selbst, als würde man im Gleichklang mit dem Universum drehen und ins Zentrum dieses Geschehens vordringen können. Wenn ich denn alles machen könnte, was ich mir so vorstelle, dann würde ich noch viele Lehrjahre in der Türkei, oder vielleicht sogar in Afrika verbringen. Doch ich habe mich halt für anderes entschieden. Wer, mein Körper oder mein Geist? Auf jeden Fall bin ich immer dahin gegangen, wo meine Füsse mir folgen können.

Ich bin ein nicht ganz hoffnungsloser Romantiker und träume von Zeiten, wo vielleicht nicht so streng zwischen Körper und Geist unterschieden wird. Von Tieren, Steinen und Pflanzen, Gestirnen, und von Menschen. Wo Vorstellungen auch Visionen sein können, die nicht im Jetzt enden. Man nicht den Körper verlassen verlassen muss, um sich zu befreien. Klar, zurück können wir nicht, obwohl ich immer wieder an Rückkehr, an Heimkehr denke, die jedem von unser bevorzustehen scheint. Vom verlorenen Sohn, der wieder im Schoss der Familie willkommen geheissen wird. Doch manchmal fühle ich auch ganz fest, dass ich bereits angekommen, und willkommen bin im Schoss der Familie – meiner Familie, der "spirituellen" Familie, der Gemeinschaft der Wesen dieser Erde und der Sterne.

Im Moment will ich also immer noch einfach nach Guatemala gehen. Ohne Medikamente, ohne Hörgeräte, ohne Versicherung, denn wenn ich an all diese Sachen denken müsste, sie in Rucksack und Kopf mit mir schleppen müsste, dann wäre ich allzu belastet und würde gar nicht erst aufbrechen, und lieber grad zu Hause bleiben. Danke meinem Geist, und danke meinem Körper, der meinen Geist so umsichtig führt, dass er etwas verwirrt, aber dankbar, den Sinnen folgen kann.

Wer weiss, vielleicht kann ich sogar zu Fuss nach Guatemala gehen! Vielleicht muss oder will ich jedoch dann trotzdem Bus, Zug oder Schiff nehmen, vielleicht sogar ein Flugzeug, und ich hoffe, dass das Leben verzeiht, oder mir einen anderen Weg weist, der für mich gangbar ist. Ich bin zuversichtlich. Nach Guatemala werde ich so oder so kommen, wo immer das auch ist. Mit Geist und Körper, im Tanz. Gott sei Dank.

Schlagwörter: Gesundheit, Hoffnung

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