Vom Glück des Irrens
24. Mai 2020, Jürg Messmer
“Freude herrscht!”, sagte einmal dieser konservative und eigenwillige Hauptmann und Bundesrat aus dem bernischen Kandersteg. Für einmal erfreute ich mich an diesem freudigen Herrschen. Normalerweise hätte ich ja eher gesagt, terrorisiere mich nicht mit dieser Freude, mit diesem Glück, niemand soll mich zum Glück zwingen, und mir solch einfachen Geschmack aufdrängen. Ich will mein eigenes Glücksempfinden, und wenn es nur im Unglück liegt, das ich erleide. Dann wenigstens ist es Meines!
Ja, das Meine war mir immer wichtig, vor allem es zu teilen. Denn Meines war und ist halt einfach Nichts, wenn nicht geteilt. Das wollte ich dann immer mal wieder mit-teilen. Doch für einen Verwirrten und Verlorenen zwischen den Zeiten ist das nun mal keine leichte Aufgabe.
Gott sei Dank hatte ich fast immer einen Freund zur Seite. Zuerst den Ersten - heute würde man ihn, nicht mehr ganz so gewichtig, den Bff (best friends forever) nennen - doch er ging mir verloren, was sehr schmerzte – vielleicht gerade weil alles mit rechten Dingen zu und her gegangen war. Vielleicht war ja der Erste durch dieses Erster-sein auch überfordert, so dass es erst dem Zweiten gelingen konnte, mich zu ertragen. So manche Freude hat dieser mir bereitet, indem er seine Verwirrung, die Unmöglichkeit der Existenz, immer wieder voll und ganz mit mir teilte - immer wieder ein mir wichtiger Weggefährte. Wie oft haben wir uns fast zu Tode gelacht, ob all der Irrungen, Widersprüche und Unstimmigkeiten.
Welch ein Glück, den Humor zu teilen, auch wenn er für manche unverständlich scheint. So habe ich in einigen Augen mit meiner verwirrten Ernsthaftigkeit als eher humorlos gegolten. Zu meinem Leid, ich hoffe auf ein Missverständnis. Auch fühlte ich mich mal direkt als langweilig ewig verdammt, von einem Freund, der keinen präzisen Platz in meiner Freundesliste mehr erhalten soll, auch wenn er den verdient hätte. Doch Platzierungen und Zahlen verlieren mit ihrer Höhe ja auch ihren Wert, und wer will Wertvolles denn in Zahlen vergleichen. Gott möge uns das austreiben - es sei denn, es würde dann allzu langweilig.
Der Letzte wird der Erste sein, das hat mich als ewig Letzter mit dem Leben immer wieder versöhnt, doch manchmal auch sehr heftig wiederum erschreckt. Nie wollte ich ja Verantwortung tragen, aus Angst, dieser nicht gerecht zu werden. So habe ich gelernt, die Verantwortung für meine Verantwortungslosigkeit zu übernehmen. Eine etwas überraschende Wende. Doch so hat sich's eben ergeben. Manchmal muss man einfach aus der Not eine Tugend machen! Denn wozu sonst denn sind all die Sprichwörter da?
Welche Umwege habe ich doch gemacht oder machen müssen! Und wie heftig habe ich sie zu lieben gelernt, denn manchmal führt der schnellste Weg ja gleich direkt in den Abgrund. Wie schnell sind wir doch heute als Menschheit unterwegs. Brauche ich mich deswegen zu fürchten? Vielleicht lohnte es sich, über die Relativität von Raum und Zeit etwas nachzudenken, und mal wieder etwas Langsamkeit ins Leben zu bringen. Für mich gibt es jedenfalls nichts Wahrhafteres und Reicheres als langsam durch den Dreck zu pflügen; das Aussen in mich aufzunehmen und langsam zu verdauen, um es als Inneres im Äusseren wieder ganz frisch auferstehen zu lassen.
Doch weiss Gott, dass ich auch ungeduldig bin, und manchmal auch genüsslich ganz auf die hohe Geschwindigkeit setze, so dass dann vielleicht mehr als einer gleich an den Kamikaze denkt. Ja, warum auch nicht? Gefällt mir nicht so schlecht. Vor allem weil ich auch weiss, dass mein Kamikaze irgendwie gut vorbereitet ist. Wie ein Freund es ja sagt, ist eine gute Vorbereitung die Mutter des Erfolges. Das habe ich weiss Gott in der Zwischenzeit mühsam gelernt – als ewiger Student, und der Leidenschaft des Lernens voll und ganz ergeben.
Jetzt aber zu Frauen! Auch hier sollen die Letzten die Ersten sein! Ach, all die Weibergeschichten! Die Weiber mögen mir verzeihen. Doch auf den Namen Weib könnte ich nur schwer verzichten. Wie habe ich sie doch verkannt! Ja, die Erste! Oder war das meine Mutter? Sicher ja, doch nennen wir sie die Pforte, durch die ich ja, sozusagen erblindet, geboren und verwirrt den Weg habe finden oder gar erfinden müssen. Sie hat mich sehr lange liebevoll begleitet und mit ganzer Kraft unterstützt, mir ganz vertraut. Ein Muttersöhnchen halt - nicht zu unrecht der Name, wie mir scheint. Oder passt Puer Eternus besser? Doch habe ich sie ja gehen lassen! Oder hat sie mich befreit? Jein!
Ihr seht, wie verwirrt diese Welt sich mir immer zeiget! Kein Wunder, dass ich so oft einer Tröstung, einer liebevollen Umarmung bedarf, und manchmal gar herzzerreissend weinen muss. Nahe am Wasser gebaut, sagte sie, die mich in wirrsten Zeiten begleitet hatte. Kein Wunder auch, dass ich im Notfall in einem Glas Wein den Trost finden muss, oder im Rauch einer Friedenspfeife die Erlösung suche. Welches Schlammassel.
Doch gar nicht so schlecht, wie es scheint. Die Erste hat mir sehr viel Freude und einen guten Einstieg ins Leben der Liebe bereitet. Ich hoffe, Gott hats ihr gut vergelt. Die Zweite hatte meine Erfahrungen auf unmöglich zu erwartende Weise vertieft, und mir eine eigenartige Freiheit geschenkt. Auch Kinder, die ich an Vaters statt habe begleiten dürfen. Ich, der ich ja - eigentlich, wie man so sagt - immer hätte Kinder haben wollen, aber Angst davor hatte, wie mein Vater, einem schwächlich widerspenstigen Sohn gegenübertreten zu müssen. Diese Verantwortung hatte ich gescheut, ja gefürchtet, und lieber die geteilte Verantwortung gesucht. Diese habe ich zum Glück auch immer wieder gefunden. Kahil Gibran beruhigte mein schlechtes Gewissen, in dem er mir zeigte, dass Kinder ja die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst, und nicht unser eigen sind. Wenigstens nicht nur. Ich will ja niemandem etwas wegnehmen, schon gar nicht das, was eh noch nie besessen werden konnte.
Einige Frauen haben mich - ob kürzer oder länger - manchmal sehr eng begleitet. Ich bin nach Frauen fast sowas wie süchtig, auch wenn ich schwächlich bin, und nicht so sehr ganz einfach meinen Mann stelle. So entwickelte ich natürlich auch eine eigene Vorstellungen von der Liebe. Sehr vielfältig, und ich suchte sie auch in der Distanz, wo ich ja eine grosse Meisterin gefunden habe. Diese Liebe geht in der Distanz manchmal etwas verloren und lernt mich wieder das Fürchten. Doch irgendwie ist sie ja trotzdem immer da, und zeigt mir, was denn Nähe auch bedeuten kann, vor allem dann, wenn ich mich im unverbindlichen Nebel des Universellen verliere.
Ach Gott, welche Lieben könnte ich hier nicht noch beschreiben, doch will ich ja nicht langweilen. Diejenige, die ich meine, oder auch andere, werden es wohl sicher selber wissen!
Jetzt bin ich dran, vor meiner Abreise in die Zukunft, meine Fotos und Briefe zu ordnen. Bin bedacht, meine Erinnerungsschatzkiste, die ich in die treuen Hände meines grossen Bruders gebe, so klein als möglich und so gross als nötig zu halten. So wie auch der aktuelle Gesundheitsminister dies immer wieder als wichtig betont, so wenige wie möglich, nur so viele als nötig! wenn er wieder mal von empfohlenen Regeln spricht. Eine Forderung, die natürlich auch nicht durch besondere Klarheit besticht.
In der Zwischenzeit ist mein Irren etwas lichter geworden, der Irrtum etwas ausgewogener. Es scheint manchmal, als ob ich klarer sehen würde. Doch klar, dem vertraue ich nicht so recht, und ich kann die Sorgen anderer gut verstehen, auch wenn sie mich natürlich ab und zu nerven. Und das Irren geht Gott sei Dank ja auch noch weiter. Denn was würde ich ohne Irren und Verwirrung machen, ohne all die Umwege, die mir ja so manch grosses Glück beschert haben. Und jetzt scheint es, als ob ich doch noch irgendwie ganz glücklich werde. Ja, bin es gar, mit Mass natürlich!
Wie hätte es überhaupt jemals anders gewesen sein können?
PS: Auch etwas verwirrlich, mindestens zweideutig, hat dieser Ratschlag - siehe Bild - mich immer begleitet. Macht einigen Sinn in der Zwischenzeit!
PS2: Apropos Zukunft: darf ich die Hoffnung auf eine Weibliche als herrlich bezeichnen?
Song der Beatles, nicht ganz eindeutig! “Happyness is a warm gun”
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