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Wert des Lebens 

7. November 2021, Jürg Messmer

Der Wert des Lebens? Da wir "intelligenten" Menschen alles messen und vergleichen, stellt sich diese Frage immer wieder von neuem.

Es ist offensichtlich, dass im modernen, "fortschrittlichen" und eben vermessenen Leben das Virus "Covid-19", dessen Gegenmassnahmen und deren Diskussion, unser Leben weitgehend bestimmen; vor allem in den Städten, und überall da wo sich Wissen, Geld und Infrastruktur häufen. Es ist nicht erstaunlich, dass eher "Reiche" (Geld oder Wissen) für klare und strikte Massnahmen sind, für "Lösungen", die eben für solch gebildete und wohl-stehende Leute einfacher nachzuvollzienen und zu befolgen sind. Wir "Reichen" haben viel Platz und die elektronische Kommunikation im Griff, so wie diese uns im Griff hat. Für uns Gebildete, die wir selber von der Bildung am meisten profitieren, ist diese auch zwingende Voraussetzung für gute und sinnvolle Entscheidungen.

Gestern fuhr ich im Tram und ärgerte mich wieder einmal ob der immer gleichen Covid-Empfehlungen, die immer wieder die Reiseinformationen auf den Bildschirmen unterbrachen, so dass ich kaum mehr wusste, welches die nächste Station sei, und ob ich nun schon aussteigen müsse; Menschen, die aus der Provinz kommen oder gar aus einer anderen Kultur - wie ich nun aus Guatemala - sind mit dieser Flut von Hinweisen nicht vertraut und für solch komplexe "Informationen" nicht so gut gerüstet.

Gleich neben diesem Monitor mit unterbrochenen Reiseinformationen hing ein Plakat, das für das Universitätsspital Zürich Werbung machte:

"Wissen gibt Hoffnung"

Ich war erstaunt ob dieser Aussage, doch fühlte ich mich gleich etwas mehr zuhause, weil offensichtlich die Hoffnung auch in der Schweiz angekommen ist; trotz Reichtum und geballtem "Wissen". Doch gleich wurde ich stutzig und fragte mich, warum jetzt ausgerechnet diese universitäre Klinik die "Hoffnung" verwende, um Menschen ins Reich der auf Wissenschaft und "Fakten" basierten Medizin zu locken?

Die Covid-Diskussion hat sich zu einem eigentlichen Glaubenskrieg entwickelt. Und wer dies bestreitet, dem kann man dies nicht einmal vorwerfen, denn im Krieg muss ja jeder die Waffe verwenden, die er zur Verfügung hat, und damit auch blind umgehen können. Wissen und Bildung sind eben auch Waffen; wer immer noch meint, dass nur Muskeln und Schwerter Kampfwerkzeuge sind, der ist eben auf dem falschen Dampfer, obwohl vielleicht wiederum auf dem richtigen, wenn es ums "Überleben" geht, dem des Stärkeren.

Gegen das geballte Wissen ist kein Kraut gewachsen. Die "angewandte" Wissenschaft ist als vorherrschender Glaube des 21. Jahrhundert übermächtig, vor allem eben in den Städten, da wo Wissen geschaffen wird und dieses den meisten Nutzen bringt.

Ich kann verstehen, wenn Menschen nun Masken tragen, und auch ein Covid-Zertifikat begrüssen, und selbst dass es Orte geben soll, wo nur Vorsichtige und Geimpfte sich treffen können. Doch wenn eine andere Meinung nicht mehr möglich ist, und anders Denkende gar mit "Gewalt" daran gehindert werden sich zu treffen, und gar Vorsichtige und andere sich nicht mehr aus freiem Willen mischen können, dann hört mein Verständnis auf. Doch das muss ich ja auch nicht verstehen, selbst wenn mein IQ bei der einzigen Messung vor vermutlich 50 Jahren mal mit 132 bestimmt worden war. Gleich wie bei meinen Drillingsbrüder, die wir trotz gleicher Intelligenz alle eine andere Haltung im Umgang mit Gesundheit und Massnahmen gegen Covid haben.

Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters, genau so wie die Schönheit. Oft, wenn ich anderer Meinung bin, wird es im besten Falle still, oder jemand meint, dass ich mit meiner Haltung andere Menschen in Gefahr bringen würde. Dann werde ich still. Und grad weil ich weiss, dass ich ein Egoist bin, möchte ich laut schreien, bist du denn kein Egoist? Und gleich befinde ich mich mitten im Krieg, und die Frage dringend, ob ich das denn will? Dann kommt mir Jesus in den Sinn, der gesagt haben soll, "Ich bin nicht gekommen, um den Frieden zu bringen, sondern das Schwert".

Ohne Schwert ist es wohl kaum möglich, als Mensch zu leben, auch als "nur" gut gebildeter, dessen Hauptaufgabe es ja heute ist, Massen zu analysieren und deren Zusammenleben zu ordnen, Menschenrechte zu klären, und den Wert von Leben zu bestimmen. Doch ob wir Menschen wirklich eigene Rechte haben, diese Fragen darf nicht gestellt werden. Denn die "Menschenrechte" haben sich tief in unsere DNA eingegraben, mindestens in die der Gebildeten, die wir wissen, wie diese zu nutzen sind.

Manchmal denke ich, dass es keinen Unterschied zwischen sogenannt natürlichen Ressourcen, wie Wasser, Zink oder Holz, und dem "Wissen" gibt. Auch beim Wissen kann man viel graben und herausholen, und damit vielfältiges anstellen, das für manches von Nutzen sein kann, und sich für den Verkauf anbietet, und man es sogar patentieren lassen kann. Doch auch beim Wissen sollte man - gleich wie beim Öl - darauf achten, welche Energien es freisetzen kann und welche Nebenwirkungen es hat. Sonst werden wir auch beim Wissen erst dann dessen Grenzen erkennen, wenn es zu spät ist.

Ach nein, zu spät ist es natürlich nie. Nur wir Menschen können ja zu spät kommen, doch wir sind halt das Mass aller Dinge, auch wenn anderes Leben von dem wohl nichts weiss. So viel ich weiss.

Also nochmals die Frage: Warum darf es keinen Ort geben, an dem sich Ungeimpfte (gar gemischt mit Geimpften) freiwillig treffen können, was ist daran so schlimm? Ist dies wirklich Match-entscheidend? Es sieht so aus, denn die Regeln des Wissens sind nicht zu verhandeln, sie sind ja absolut, wie jeder absolute Glaube, selbst wenn Wissen eine kurze "Halbwertszeit" hat. Doch das ist ja die Stärke des "Absoluten" - da gibt es keine Zweifel.

Heute morgen habe ich in der Sonntags-Zeitung gelesen, dass "Dummheit" "Hochkonjunktur" habe, grad zu Zeiten von Covid(1). Ich fühlte mich betroffen, vor allem weil in diesem Artikel auch der Satz zitiert wurde: "Das Problem ist, dass intelligente Menschen voller Zweifel sind, während die Dummen voller Vertrauen sind". Vielleicht grad weil ich selber von grossen Zweifeln geplagt werde, bin ich auf viel Vertrauen angewiesen, man könnte gar von "vollem Vertrauen" sprechen. Und ich begreife nicht, wie man Intelligenz und Vertrauen gegeneinander ausspielen kann. Niemand kann ohne Vertrauen leben, auch der grösste Zweifler nicht. Ob es das Vertrauen in die Muskeln oder in die Wissenschaft, jenes in "Gott", in das eigene Gefühl oder gar das eigene (kritische) Denken ist, das spielt meiner Meinung nach keine Rolle. Doch dass ich deswegen "dumm" sein könnte, das kann ich nicht von der Hand weisen.

Wenn jedoch Zweifel punkto Intelligenz das wichtigste Mass sein sollte, dann würde doch auch das Sprichwort gelten "Im Zweifel für den Angeklagten". Und die Intelligenz anders Denkender oder Handelnder anzuzweifeln, scheint mir genau das, was die Autorin dieses Artikels beklagt, die "Schuld bei den anderen suchen".

Wie ich jetzt die Kurve zum "Wert des Lebens" erwischen soll, das ist mir ein Rätsel! Vielleicht so: jeder Mensch bestimmt den Wert seines Lebens und seines Tun und Lassen für sich selbst, wer denn sonst? Das könnte man "Eigenverantwortung" nennen. Zugegeben, ein schwieriges Wort, dieses deutsche "Ver-Antwortung" (in anderen Sprachen heisst es meist einfach "Fähigkeit zu antworten"), und vor allem das "eigen", denn wenigstens ich weiss oft nicht, was denn mein "eigen" ist.

PS: Ich kenne, und anerkenne die Kraft von "Naturgewalten", jeglicher Art. Alles andere wäre unsinnig.

PS2: Zur Einordnung meines Textes: Ich habe einen Master - früher nannte man dies Lizenziat (Lic. Phil. I) - der Universität Zürich. Ich bin geimpft mit zwei Dosen "Moderna" (aus oportunistischen Gründen). Bin ich deswegen "intelligent"? Ich glaube nicht, dass diese Frage eine Bedeutung hat.

PS3: Gerne würde ich Anfangs Dezember mit Freunden in einer Bar feiern und tanzen, bevor ich wieder nach Guatemala zurückkehre. Leider dürfen Ungeimpfte da nicht teilnehmen. Ob es anders "besser" wäre, das weiss ich nicht. Doch ich bin immer glücklich, wenn jemand "s'Foifi grad si laat" (fünfe gerade sein lassen), auch wenn mir dies selber nicht oft gelingt.

(1)Fokus-Interview "Dummheit hat Hochkonjunktur", SonntagsZeitung vom 7. November 2021

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