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Guatemala, das Land der Vulkane 

26. Februar 2020, Jürg Messmer

Es zieht mich nach Guatemala!
Bereits im November, als ich das letzte Mal für zehn Wochen in Xela, Quetzaltenango war, habe ich mich entschieden, dahin zu ziehen. Auch für mich war es eine Überraschung, dass ich mich so schnell und einfach für so etwas Einschneidendes entschieden hatte, und das nach 20 Jahren, nach insgesamt mehr als einem Jahr da in diesem zentralamerikanischen Land, der Schwelle zwischen Nord und Süd – nach Jahren der Auseinandersetzung mit der Welt und mit mir, mit Fragen der Gerechtigkeit und der Freiheit, unserer Angst und der Liebe. Manchmal fliegen zur Zeit die Fetzen, nicht wirklich natürlich, doch nach der Entscheidung will der Weg ja auch gegangen werden, und das bringt einiges mit sich.

Warum gehe ich nach Guatemala? Natürlich wegen der Liebe, doch welcher Liebe? Ja, der einer Frau auch, doch auch anderer Frauen wegen, die mich auf verschiedene Weisen anziehen. Was natürlich eine Hausforderung ist, das Eine und die Vielfalt. Auch das einfachere Leben und die Aussicht, dass ich da mein Geld teilen kann, ja auch das. Denn Geld teilen ist ja vor allem in der reichen Schweiz so eine Sache, Geld scheint ja eine eigene Währung zu sein, als hätte diese nichts mit dem Leben zu tun. Einfach eine Dreingabe für Glückliche, oder der Lohn des Fleisses. Eigentum und römisches Recht sind ja in der Schweiz tief verankert, und das merke ich an mir selber: meine Angst, wenn es um Geld und dessen Bedeutung geht. Doch zum Glück habe ich dabei Hilfe, von anderen, auch dank meiner wilden Vorstellungskraft. Es hilft, dass ich ein klein wenig verrückt bin. Das ist in Guatemala zum Glück nicht so ein Problem, vielleicht einfach darum, weil es da noch weniger Psychiater, Psychologen, weniger differenzierende Wissenschaft und geeignete Institutionen gibt, um das Verrückte zu erkennen und adequat damit umgehen zu können.

So trifft man da noch einige interessante Menschen auf der Strasse und denkt nicht einmal: was für eine verrückte Welt. Gefällt mir, irgendwie. Ich kann mich unbehelligt irgendwo hinsetzen, wo ich will, auch wenn es auf einem etwas staubigen Gehsteig ist, den ich oft und gerne als mein Büro bezeichne. Meine Arbeit? Rauchend meditieren, leben, mir Sorgen machen, diese Sorgen-Kinder lieben lernen und das Leben an den Eiern packen. Was man halt so macht, wenn man Zeit hat, die Gedanken passieren zu lassen, auf Ideen zu kommen und sie umzusetzen, also einfach Interessantes und für mich Sinnvolles auszuhecken - Stolpern inbegriffen.

Vielleicht den Parkwächtern am kalten Morgen einen warmen Kaffee vorbeibringen, den ich in der Schule "heimlich" entwende, mit ihnen etwas schwatzen, und mich an ihrer Freude und an meiner guten Tat erfreuen. Ja, etwas beschämend, dieser Egoismus. Doch der scheint halt Teil meines Lebens zu sein. Und ich werde ja auch gerügt, denn manchmal "beschimpft" man mich als Gutmenschen, und die haben ja nicht so unrecht. Oder Goody, goody. Das schmerzt dann, doch na ja, ist ja auch ein Gefühl. Welcher Reichtum an Gefühlen bietet uns das Leben. Vorbei gehen sie erst noch, diese Gefühle, sie kommen und gehen. Es bewegt sich, ich bewege, und ich werde bewegt. Wer was, wie und wen bewegt, ist ja zum Glück nicht so klar. Auch wenn viele heute einiges von "Ursache und Wirkung" zu verstehen glauben. Und es stimmt ja auch. Wer aufs Gas drückt, fährt schneller. Und sicher nicht beides gleichzeitig, oder doch? Was schöneres gibt es denn noch? Ja, klar, einiges. Doch das kann sich ja jeder und jede gut selber vorstellen.

Mit der Schweiz bin ich ja schon längere Zeit etwas auf Kriegsfuss gestanden. Doch was diese Schweiz überhaupt ist, ist nicht klar. Sie ist ja inzwischen etwas farbiger geworden, auch wenn Sicherheit und Geld immer noch das Wichtigste sind, und sich das auch in viel Beton ausdrückt. Denn mit Geld scheinen wir ja nur Materielles schaffen zu können. Also Beton, Beton, Strassen, Flughäfen. Medizinische Fabriken, Drogenproduktionsstätten, Mobilitätsinstrumente (Auto: auch eine Form, bewegt zu werden...). Versicherungsgebäude. Konsumstätten. Und alles mit einer jeweils klaren Funktion und mit klaren Regeln. Gottes etwas harsche Gesetze sind durch ein subtiles Regelwerk ersetzt worden. Im Rahmen einer demokratischen und fein austarierten freiheitlichen Ordnung. Sauber geordnete Raucherzonen, an denen man diese selbstzerstörerischen Menschen, die erst noch mit Rauchen zufrieden zu sein scheinen und demzufolge oft weniger konsumieren, geordnet platzieren und sie entschärfen kann. Und wenn, dann konsumieren diese ja eher auch noch Alkohol, so wie ich. Denn ich brauche es, die Kanten meiner Selbsterfahrung etwas zu schleifen, das kulturelle Unbehagen etwas zu mildern, und quasi das Leben in homöopatischen Dosen zu verdauen. Jede und jeder oder jedes hat ja seine eigene Droge. Das ist ja wahrscheinlich auch gut so.

Mein Hauptstreit ist jedoch nicht der mit der Schweiz, sondern der mit Gott. Nur gibt es da dieses kleine Problem: ich weiss, nicht, wer oder was er, sie oder es ist. Doch als gutgläubiger und naiver Mensch halte ich mich an dieses Wort Gott, in der Meinung, dass auch ein anderes nicht besser ist. Die Quelle, das Eine, Allah, Krishna oder Viagra. Also spreche ich mit ihm, Gott, streite mich mit Ihm (sorry, dass ich das männliche Pronomen verwende, ersetzt es einfach nach Wunsch und Gutdünken mit eurem bevorzugten). Über was streite ich mich mit ihm? Vor allem darum, dass ich in seiner Botschaft, in seinem Leben inbegriffen sein möchte. Was nützt es, eine Welt zu schaffen, in der ich - mit meiner Gefühlskälte, mit meiner Verwirrtheit, mit meinen gegensätzlichen Wünschen, mit meiner bipolaren Grundbefindlichkeit und meinem Mangel an Regelfolgsamkeit, mit meiner Tendenz, gegen den Strom zu schwimmen, und immer dann nicht zu lieben, wenn ich lieben sollte, oder eine dumme Frage stelle, die sonst allen klar ist - nicht inbegriffen bin. Das tut weh. Also bitte ich ihn, mich mit zu begreifen. Es funktioniert, manchmal. Manchmal auch nicht. Bin halt schnell rückfällig, etwas schwer von Begriff. Doch das kommt davon, wenn man das Leben liebt, auch wenn es eine Illusion sein mag. Selber schuld. Ja, eben, immer diese Schuldfrage. Erbsünde. Das jüngste Gericht. Ich richte mich auf. Yoga. Das Leben.

Ich gehe nun also in die Nähe der Vulkane, des St. María, in die Nähe der Erdbeben und näher zum Himmel, in eine Stadt auf 2300 Meter über Meer - Xela. Die Sterne sieht man da klarer. Und ich muss da nicht alleine denken. Wir denken zusammen. Also keine Angst, ich geh nicht weg. Ich bin da :-)

Schlagwörter: Schweiz, Guatemala, Hoffnung

2 Kommentare

Noldi, 30. März 2020

Toller Text. Etwas vom Besten von Dir. Wie Du Dein Auswandern begründest und mit inneren Prozessen verknüpfst. In welch wunderbarer Sprache Du formulierst. Kaum zu glauben dass ich Dein genetisch identischer Drillingsbruder bin.

Regina, 2. April 2020

Lieber Jürg,

schön, auch auf diesem Weg mehr über deine Beweggründe zu erfahren, nach Guatemala zu gehen.

Lieber Gruss, Regina

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